Schachtelhalmkraut: Fakten & Mythen beleuchtet
Schachtelhalmkraut stammt von der Pflanze Equisetum arvense, die seit Jahrhunderten in der traditionellen Medizin verwendet wird. Diese urzeitliche Pflanze, die schon zu Zeiten der Dinosaurier existierte, enthält außergewöhnlich hohe Mengen an Kieselsäure - bis zu 10% der Trockenmasse. Moderne Untersuchungen zeigen allerdings, dass viele traditionelle Anwendungen wissenschaftlich nicht haltbar sind. Die tatsächlichen Wirkungen unterscheiden sich oft erheblich von den beworbenen Versprechen der Nahrungsergänzungsmittel-Industrie.
Der Ackerschachtelhalm wächst auf feuchten Böden in gemäßigten Klimazonen weltweit. Seine charakteristischen grünen Triebe werden zwischen Mai und Juli geerntet und getrocknet. Die getrockneten Pflanzenteile dienen als Ausgangsmaterial für Tees, Extrakte, Kapseln und äußerliche Zubereitungen. Interessanterweise verwechseln selbst Hersteller manchmal den Ackerschachtelhalm mit dem giftigen Sumpfschachtelhalm, was zu Qualitätsproblemen führen kann.
Inhaltsstoffe und chemische Zusammensetzung
Die chemische Zusammensetzung von Schachtelhalmkraut ist gut erforscht. Der Hauptwirkstoff ist Kieselsäure in verschiedenen Formen, wobei der Gesamtgehalt zwischen 5 und 10% der Trockenmasse liegt [1]. Davon sind etwa 10% wasserlöslich, was für die Aufnahme im Körper entscheidend ist. Die restlichen 90% bleiben als unlösliche Silikate im Verdauungstrakt zurück und werden ausgeschieden. Diese Tatsache wird in der Werbung für Schachtelhalm-Präparate oft verschwiegen.
Neben der Kieselsäure enthält Schachtelhalmkraut verschiedene Flavonoide, darunter Quercetin-Glykoside und Kämpferol-Derivate in Konzentrationen von 0,2 bis 0,9% [2]. Diese sekundären Pflanzenstoffe haben in Laborversuchen antioxidative Eigenschaften gezeigt. Allerdings liegen die wirksamen Konzentrationen weit über dem, was durch normale Einnahme von Schachtelhalm-Präparaten erreicht werden kann. Eine Tasse Schachtelhalm-Tee enthält etwa 2-5 mg Flavonoide, während in Zellkultur-Studien oft 50-100 mg pro Liter verwendet werden.
Weitere Bestandteile umfassen Phenolsäuren wie Kaffeesäure und Ferulasäure, verschiedene Mineralstoffe (besonders Kalium mit 1,8-3,1%) sowie Spuren von Alkaloiden wie Nikotin und Palustrin [3]. Der Nikotingehalt liegt bei etwa 0,00004%, was toxikologisch unbedeutend ist. Dennoch nutzen manche Hersteller diese Spurenmengen für fragwürdige Werbeaussagen über "entgiftende" Eigenschaften.
Inhaltsstoff | Gehalt (% der Trockenmasse) | Wasserlöslicher Anteil | Biologische Verfügbarkeit |
---|---|---|---|
Gesamtkieselsäure | 5-10% | 0,5-1% | 1-4% der Gesamtmenge |
Flavonoide | 0,2-0,9% | 60-70% | 15-30% |
Kalium | 1,8-3,1% | 95% | 85-95% |
Phenolsäuren | 0,1-0,3% | 80% | 20-40% |
Sterole | 0,02-0,05% | 5% | 10-20% |
Bioverfügbarkeit und Metabolismus
Die Aufnahme von Kieselsäure aus Schachtelhalmkraut im menschlichen Körper ist ein komplexer Prozess, der oft missverstanden wird. Studien zeigen, dass nur etwa 1-4% der gesamten Kieselsäure aus pflanzlichen Quellen tatsächlich ins Blut gelangen [4]. Der Grund liegt in der chemischen Form: Die meiste Kieselsäure in Pflanzen liegt als polymeres Siliziumdioxid vor, das der Darm nicht aufnehmen kann. Nur die monomere Orthokieselsäure kann die Darmwand passieren.
Nach der Einnahme von 100 mg Schachtelhalm-Extrakt (mit etwa 7 mg Kieselsäure) steigt der Siliziumspiegel im Blut innerhalb von 30-60 Minuten um maximal 0,5-1,5 mg/l an [5]. Diese Erhöhung ist minimal, wenn man bedenkt, dass der normale Siliziumspiegel im Blut bei 0,5 mg/l liegt. Die Halbwertszeit beträgt nur 3-6 Stunden, weshalb der Körper den größten Teil schnell über die Nieren ausscheidet. Für eine dauerhafte Erhöhung des Siliziumspiegels müssten Präparate mehrmals täglich eingenommen werden, was selten empfohlen wird.
Vergleich verschiedener Siliziumquellen
Im Vergleich zu anderen Siliziumquellen schneidet Schachtelhalmkraut durchwachsen ab. Bier enthält beispielsweise 19 mg Silizium pro Liter in gut aufnehmbarer Form (als Orthokieselsäure), während eine Tasse Schachtelhalm-Tee nur 2-4 mg liefert, wovon der Körper weniger aufnimmt. Grüne Bohnen enthalten 8,3 mg/100g, Haferflocken 11 mg/100g und Bananen 13,6 mg/100g Silizium. Die normale Ernährung liefert täglich 20-50 mg Silizium, wodurch der Zusatzbeitrag von Schachtelhalm-Präparaten relativiert wird.
Quelle | Siliziumgehalt | Form | Geschätzte Aufnahme |
---|---|---|---|
Schachtelhalm-Tee (250 ml) | 2-4 mg | Gemischt | 0,1-0,4 mg |
Bier (500 ml) | 9,5 mg | Orthokieselsäure | 5-7 mg |
Haferflocken (100g) | 11 mg | Phytolithe | 0,5-1 mg |
Bananen (100g) | 13,6 mg | Lösliche Silikate | 2-3 mg |
Mineralwasser (1 Liter) | 0-40 mg | Metakieselsäure | 10-30 mg |
Anwendungsgebiete und wissenschaftliche Evidenz
Die beworbenen Anwendungsgebiete von Schachtelhalmkraut sind vielfältig, doch die wissenschaftliche Datenlage ist ernüchternd dünn. Traditionell wird die Pflanze bei Harnwegsinfekten, Nierensteinen, brüchigen Nägeln, Haarausfall und zur Wundheilung eingesetzt. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat 2016 eine umfassende Bewertung durchgeführt und kam zu dem Schluss, dass für die meisten Anwendungen keine ausreichenden Belege vorliegen [6].
Harnwegsinfekte und diuretische Wirkung
Die harntreibende Wirkung von Schachtelhalmkraut ist die einzige von der EMA anerkannte traditionelle Anwendung. In einer kleinen Studie mit 36 Probanden zeigte sich nach Einnahme von 900 mg Schachtelhalm-Extrakt täglich eine Steigerung der Urinmenge um durchschnittlich 120 ml pro Tag [7]. Dieser Effekt war vergleichbar mit 25 mg Hydrochlorothiazid, einem verschreibungspflichtigen Entwässerungsmittel. Allerdings fehlte in dieser Studie eine Placebo-Kontrolle, und die Teilnehmer wussten, dass sie ein harntreibendes Mittel erhielten.
Der Wirkmechanismus der harntreibenden Wirkung ist unklar. Früher vermutete man, dass die Kieselsäure die Nieren mechanisch reizt. Heute geht man eher davon aus, dass der hohe Kaliumgehalt (1,8-3,1%) und bestimmte Flavonoide verantwortlich sind. Die Kaliumkonzentration in einer Tagesdosis Schachtelhalm-Tee (3-6g Kraut) liefert 54-186 mg Kalium, was durchaus physiologisch relevant ist. Zum Vergleich: Eine Banane enthält etwa 420 mg Kalium.
Bei Harnwegsinfekten gibt es keine kontrollierten Studien, die eine antibakterielle Wirkung belegen würden. Laborversuche zeigten zwar, dass konzentrierte Schachtelhalm-Extrakte das Wachstum von E. coli und anderen Bakterien hemmen können, aber die dafür nötigen Konzentrationen werden im Harntrakt nie erreicht [8]. Die minimale Hemmkonzentration liegt bei 5-10 mg/ml, während die maximal erreichbare Konzentration im Urin unter 0,1 mg/ml bleibt.
Knochen- und Bindegewebsstärkung
Silizium spielt tatsächlich eine Rolle im Knochenstoffwechsel. Es ist in der organischen Matrix des Knochens konzentriert und an der Kollagenbildung beteiligt. Tierversuche zeigten, dass Silizium-Mangel zu Wachstumsstörungen und schlechter Knochenbildung führt [9]. Daraus abzuleiten, dass Schachtelhalm-Präparate die Knochen stärken, ist jedoch ein voreiliger Schluss.
Eine italienische Studie untersuchte 122 Frauen mit Osteoporose über 12 Monate. Die Hälfte erhielt täglich einen Schachtelhalm-Extrakt (entsprechend 10 mg Silizium), die andere Hälfte ein Placebo. Nach einem Jahr zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Knochendichte zwischen beiden Gruppen [10]. Die Marker für Knochenumbau veränderten sich ebenfalls nicht messbar. Lediglich bei einer Untergruppe mit sehr niedrigen Ausgangswerten für Silizium im Blut (<0,2 mg/l) gab es minimale Verbesserungen.
Die Behauptung, Haare und Nägel profitieren von Schachtelhalmkraut, basiert hauptsächlich auf der theoretischen Rolle von Silizium im Bindegewebe. Kontrollierte Studien am Menschen fehlen vollständig. Eine Untersuchung mit 48 Frauen, die 90 Tage lang täglich 10 mg Silizium aus verschiedenen Quellen erhielten, zeigte keine Verbesserung der Haardicke oder Nagelstärke im Vergleich zu Placebo [11]. Die Werbeaussagen der Industrie stützen sich meist auf Einzelfallberichte oder offene Beobachtungsstudien ohne Kontrollgruppe.
Äußerliche Anwendung
Schachtelhalmkraut wird häufig in Salben, Cremes und Badezusätzen verwendet. Die äußerliche Anwendung soll bei Wunden, Ekzemen, Dehnungsstreifen und Cellulite helfen. Wissenschaftliche Belege für diese Anwendungen sind noch spärlicher als für die innerliche Einnahme.
Wundheilung und Hautregeneration
In Zellkultur-Studien stimulierten Schachtelhalm-Extrakte die Bildung von Fibroblasten, den Zellen die für die Kollagenproduktion verantwortlich sind [12]. Die wirksamen Konzentrationen lagen bei 50-100 μg/ml. Ob diese Konzentrationen in der Haut nach äußerlicher Anwendung erreicht werden, ist fraglich. Die Haut ist eine effektive Barriere, und nur kleine, fettlösliche Moleküle können sie gut durchdringen. Kieselsäure ist wasserlöslich und dringt kaum in tiefere Hautschichten ein.
Eine kleine klinische Studie mit 30 Patienten untersuchte eine Salbe mit 3% Schachtelhalm-Extrakt bei oberflächlichen Wunden. Nach 14 Tagen heilten die behandelten Wunden durchschnittlich 1,5 Tage schneller als mit einer Basis-Salbe ohne Wirkstoff [13]. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Die Autoren vermuteten, dass die adstringierende (zusammenziehende) Wirkung der Gerbstoffe für den kleinen Effekt verantwortlich war, nicht die Kieselsäure.
Kosmetische Anwendungen
In der Kosmetik wird Schachtelhalm-Extrakt als "Anti-Aging"-Wirkstoff beworben. Die Theorie: Silizium ist wichtig für die Kollagenvernetzung, also müsste zusätzliches Silizium die Hautalterung verlangsamen. Diese Logik ignoriert jedoch, dass äußerlich aufgetragenes Silizium die Epidermis kaum durchdringt und nicht zu den kollagenproduzierenden Zellen in der Dermis gelangt.
Eine Studie mit 40 Frauen testete eine Creme mit 5% Schachtelhalm-Extrakt über 8 Wochen. Die Hautfeuchtigkeit verbesserte sich um 7%, die Hautelastizität um 4% [14]. Diese minimalen Verbesserungen lagen im Bereich der Messungenauigkeit. Die Kontrollgruppe, die eine Basis-Creme ohne Schachtelhalm verwendete, zeigte ähnliche Verbesserungen (5% bzw. 3%). Der Placebo-Effekt und die feuchtigkeitsspendende Wirkung der Cremegrundlage erklären diese Resultate besser als spezifische Wirkungen des Schachtelhalms.
Dosierung und Darreichungsformen
Die Dosierungsempfehlungen für Schachtelhalmkraut variieren stark zwischen verschiedenen Herstellern und Traditionen. Diese Uneinheitlichkeit spiegelt den Mangel an wissenschaftlich fundierten Dosisfindungsstudien wider. Die meisten Empfehlungen basieren auf traditioneller Verwendung, nicht auf klinischen Daten.
Innerliche Anwendung
Für Tee empfiehlt die Kommission E (deutsche Expertengremium für pflanzliche Arzneimittel) 2-3g getrocknetes Kraut pro Tasse, bis zu dreimal täglich. Das entspricht einer Tagesdosis von 6-9g Droge mit etwa 300-900 mg Gesamtkieselsäure, wovon nur 3-36 mg tatsächlich aufgenommen werden. Diese geringe Ausbeute erklärt, warum viele Hersteller zu konzentrierten Extrakten greifen.
- Standardisierte Trockenextrakte: 300-900 mg täglich (entspricht 3-9g Kraut), meist auf 10% Kieselsäure standardisiert. Die tatsächliche Aufnahme liegt bei 1-3 mg Silizium pro Tag.
- Flüssigextrakte und Tinkturen: 2-4 ml dreimal täglich. Der Alkoholgehalt (25-45%) kann bei empfindlichen Personen zu Magenbeschwerden führen.
- Kapseln und Tabletten: Große Qualitätsunterschiede zwischen Herstellern. Manche enthalten nur gemahlenes Kraut (300-500 mg pro Kapsel), andere standardisierte Extrakte.
- Presssaft aus frischem Kraut: 5-10 ml dreimal täglich. Enthält mehr wasserlösliche Bestandteile, ist aber schwer erhältlich und teuer.
Die optimale Einnahmezeit ist umstritten. Manche Hersteller empfehlen die Einnahme auf nüchternen Magen für bessere Aufnahme, andere raten zur Einnahme mit Mahlzeiten wegen möglicher Magenreizung. Studien zur Bioverfügbarkeit zeigen keinen eindeutigen Unterschied. Wichtiger ist die gleichzeitige Flüssigkeitsaufnahme (mindestens 200 ml Wasser), da dies die Löslichkeit der Kieselsäure verbessert.
Darreichungsform | Tagesdosis | Kieselsäure-Gehalt | Geschätzte Aufnahme | Kosten/Monat |
---|---|---|---|---|
Tee (loses Kraut) | 6-9g | 300-900 mg | 3-36 mg | 5-10 € |
Standardextrakt-Kapseln | 600-900 mg | 60-90 mg | 1-3 mg | 15-30 € |
Flüssigextrakt | 6-12 ml | 30-60 mg | 1-2 mg | 20-40 € |
Frischpflanzensaft | 15-30 ml | 45-90 mg | 2-4 mg | 30-60 € |
Dosierung bei äußerlicher Anwendung
Für Umschläge und Kompressen werden 10g Kraut mit 1 Liter kochendem Wasser übergossen, 15 Minuten ziehen gelassen und abgeseiht. Die erkaltete Flüssigkeit wird für Umschläge verwendet. Die Konzentration der Wirkstoffe ist dabei sehr niedrig (etwa 0,05% Kieselsäure), weshalb fraglich ist, ob überhaupt relevante Mengen in die Haut eindringen.
Badezusätze enthalten meist 100-200g Kraut oder entsprechende Extrakte pro Vollbad. Bei einer Badewanne mit 150 Litern Wasser ergibt das eine Konzentration von weniger als 0,001% Kieselsäure. Die Aufnahme über die Haut ist bei dieser Verdünnung praktisch null. Mögliche Effekte beruhen eher auf der entspannenden Wirkung des warmen Bades selbst.
Sicherheit und Nebenwirkungen
Schachtelhalmkraut gilt allgemein als sicher bei bestimmungsgemäßer Anwendung. Die dokumentierten Nebenwirkungen sind selten und meist mild. Dennoch gibt es wichtige Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen, die beachtet werden müssen.
Bekannte Nebenwirkungen
Die häufigsten Nebenwirkungen betreffen den Magen-Darm-Trakt. Etwa 5-10% der Anwender berichten über leichte Magenbeschwerden, Übelkeit oder Durchfall, besonders bei Einnahme auf nüchternen Magen [15]. Diese Beschwerden werden vermutlich durch die enthaltenen Kieselsäure-Kristalle und Saponine verursacht, die die Magenschleimhaut reizen können.
Allergische Reaktionen sind selten, aber dokumentiert. Menschen mit Allergien gegen andere Pflanzen der Familie der Schachtelhalmgewächse sollten vorsichtig sein. Symptome umfassen Hautausschlag, Juckreiz und in seltenen Fällen Atembeschwerden. Die Prävalenz liegt unter 0,1% der Anwender.
Ein oft übersehenes Problem ist die Thiaminase-Aktivität in Schachtelhalmkraut. Dieses Enzym baut Vitamin B1 (Thiamin) ab. Bei längerer Einnahme hoher Dosen (über 9g Kraut täglich für mehr als 4 Wochen) kann theoretisch ein Vitamin-B1-Mangel entstehen [16]. Praktische Fälle sind selten, aber bei Risikopersonen (Alkoholiker, Mangelernährung) sollte dies bedacht werden.
Kontraindikationen und Wechselwirkungen
Wegen der harntreibenden Wirkung sollten Personen mit Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz oder Ödemen Schachtelhalmkraut nur nach Rücksprache mit einem Arzt verwenden. Die zusätzliche Entwässerung kann bei diesen Erkrankungen problematisch sein.
Schwangere und Stillende sollten auf Schachtelhalmkraut verzichten, da keine ausreichenden Sicherheitsdaten vorliegen. Zwar gibt es keine Berichte über Schädigungen, aber das Fehlen von Daten rechtfertigt keine Empfehlung. Die traditionelle Verwendung als Abtreibungsmittel in hohen Dosen mahnt zusätzlich zur Vorsicht.
- Wechselwirkung mit Diuretika: Die harntreibende Wirkung kann sich addieren. Bei gleichzeitiger Einnahme von verschreibungspflichtigen Entwässerungsmitteln droht übermäßiger Flüssigkeits- und Elektrolytverlust.
- Wechselwirkung mit Lithium: Durch die verstärkte Ausscheidung kann der Lithiumspiegel im Blut sinken, was bei Patienten mit bipolarer Störung die Therapie gefährdet.
- Wechselwirkung mit Digitalis-Glykosiden: Der Kaliumverlust durch die harntreibende Wirkung kann die Toxizität von Herzglykosiden erhöhen.
- Mögliche Interaktion mit Antidiabetika: Einzelne Tierversuche deuten auf blutzuckersenkende Effekte hin. Diabetiker sollten ihren Blutzucker engmaschiger kontrollieren.
Qualitätsprobleme und Verwechslungsgefahren
Ein ernstes Problem ist die Verwechslung mit dem giftigen Sumpfschachtelhalm (Equisetum palustre). Dieser enthält toxische Alkaloide, insbesondere Palustrin, in deutlich höheren Konzentrationen. Vergiftungen äußern sich durch Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel und neurologische Symptome. Seriöse Hersteller testen ihre Rohware, aber bei Billigprodukten unbekannter Herkunft besteht ein Risiko.
Die Qualität von Schachtelhalm-Produkten schwankt erheblich. Analysen zeigten, dass der deklarierte Kieselsäure-Gehalt oft nicht erreicht wird. Von 20 getesteten Produkten enthielten 7 weniger als 50% der angegebenen Menge [17]. Schwermetallbelastungen (besonders Blei und Cadmium) wurden in 3 von 20 Proben über den Grenzwerten gefunden. Die Pflanzen reichern Schwermetalle aus belasteten Böden an.
Vergleich mit alternativen Siliziumquellen
Angesichts der geringen Bioverfügbarkeit von Silizium aus Schachtelhalmkraut stellt sich die Frage nach besseren Alternativen. Verschiedene Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel liefern Silizium in besser verfügbarer Form.
Natürliche Nahrungsquellen
Die durchschnittliche Ernährung liefert täglich 20-50 mg Silizium, hauptsächlich aus Getreide, Gemüse und Getränken. Vollkornprodukte sind besonders reich an Silizium, wobei die Schale des Getreides die höchsten Konzentrationen aufweist. Weißmehlprodukte enthalten dagegen kaum Silizium.
Bier ist überraschenderweise eine der besten Siliziumquellen. Das Silizium stammt aus der Gerste und liegt als Orthokieselsäure vor, die der Körper gut aufnehmen kann. Studien zeigen, dass moderate Biertrinker höhere Siliziumspiegel im Blut und eine bessere Knochendichte haben als Abstinenzler [18]. Natürlich überwiegen bei höherem Konsum die negativen Effekte des Alkohols.
Lebensmittel | Silizium (mg/100g) | Typische Portion | Silizium pro Portion |
---|---|---|---|
Haferflocken | 11 | 50g | 5,5 mg |
Brauner Reis | 4,4 | 150g gekocht | 6,6 mg |
Grüne Bohnen | 8,3 | 200g | 16,6 mg |
Spinat | 6,9 | 150g | 10,4 mg |
Bananen | 13,6 | 120g (1 Banane) | 16,3 mg |
Moderne Silizium-Präparate
Cholinstabilisierte Orthokieselsäure (ch-OSA) ist eine moderne Form von Silizium-Nahrungsergänzungsmitteln. Das Cholin verhindert die Polymerisation der Kieselsäure und hält sie in löslicher Form. Studien zeigen eine Bioverfügbarkeit von 17-20%, deutlich höher als bei pflanzlichen Quellen [19]. Eine randomisierte Studie mit 200 Frauen zeigte nach 12 Monaten Einnahme von ch-OSA (10 mg Silizium täglich) eine messbare Verbesserung der Haarqualität und Nagelstärke.
Kolloidales Silizium wird als Nanosuspension angeboten. Die winzigen Partikel sollen besser aufgenommen werden. Wissenschaftliche Belege fehlen jedoch. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat 2018 Sicherheitsbedenken geäußert, da die Langzeitwirkungen von Nanopartikeln unklar sind [20].
Regulatorischer Status und Health Claims
Die rechtliche Einordnung von Schachtelhalmkraut variiert international erheblich. In der EU gilt es als traditionelles pflanzliches Arzneimittel für die Durchspülung der Harnwege. Gesundheitsbezogene Aussagen für Nahrungsergänzungsmittel sind streng reguliert.
EU Health Claims Verordnung
Die Health Claims Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 regelt, welche gesundheitsbezogenen Aussagen für Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel erlaubt sind. Für Schachtelhalmkraut wurden verschiedene Claims beantragt, aber alle abgelehnt:
Der Antrag "Schachtelhalmkraut unterstützt die Knochengesundheit" wurde 2009 wegen unzureichender wissenschaftlicher Belege abgelehnt. Die vorgelegten Studien waren methodisch mangelhaft oder zeigten keine eindeutigen Effekte. Der Antrag "trägt zur Erhaltung von Haut, Haaren und Nägeln bei" scheiterte 2011 aus denselben Gründen. Die EFSA bemängelte das Fehlen kontrollierter Humanstudien.
Erlaubt sind nur vage Formulierungen wie "wird traditionell verwendet zur Unterstützung der Ausscheidungsfunktion der Nieren" - aber nur für registrierte traditionelle Arzneimittel, nicht für Nahrungsergänzungsmittel. Viele Hersteller umgehen diese Beschränkungen durch geschickte Formulierungen oder verlagern den Vertrieb ins Internet, wo die Kontrolle schwieriger ist.
Situation in anderen Ländern
In den USA gilt Schachtelhalmkraut als "dietary supplement" unter dem Dietary Supplement Health and Education Act (DSHEA). Hersteller dürfen keine krankheitsbezogenen Aussagen machen, aber "structure/function claims" sind erlaubt. So findet man Formulierungen wie "supports healthy hair and nails" auf amerikanischen Produkten.
In Kanada ist Schachtelhalmkraut als Natural Health Product zugelassen. Health Canada erlaubt die Aussage "traditionally used as a diuretic". Für andere Anwendungen fehlen die Belege. In Australien ist die Situation ähnlich restriktiv wie in der EU.
Wirtschaftliche Aspekte und Marktanalyse
Der Markt für Schachtelhalm-Produkte ist Teil des milliardenschweren Segments für pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel. Genaue Zahlen sind schwer zu erheben, da Schachtelhalmkraut oft in Kombinationspräparaten enthalten ist.
Marktvolumen und Trends
Der globale Markt für Silizium-Nahrungsergänzungsmittel wurde 2023 auf etwa 280 Millionen Euro geschätzt. Schachtelhalmkraut hat daran einen Anteil von geschätzt 15-20%. In Deutschland werden jährlich etwa 8 Millionen Euro mit reinen Schachtelhalm-Produkten umgesetzt. Der Markt wächst jährlich um 3-5%, getrieben durch den Trend zu "natürlichen" Produkten.
Die Gewinnmargen sind beträchtlich. Getrocknetes Schachtelhalmkraut kostet im Großhandel 8-12 Euro pro Kilogramm. Daraus lassen sich etwa 2000 Teebeutel herstellen, die im Einzelhandel für 60-100 Euro verkauft werden. Bei Extrakten und Kapseln sind die Margen noch höher. Ein Kilogramm Trockenextrakt (aus 10 kg Kraut) kostet 80-120 Euro und ergibt 1000 Kapseln, die für 300-500 Euro verkauft werden.
Marketing-Strategien
Die Vermarktung von Schachtelhalm-Produkten nutzt geschickt die Sehnsucht nach "natürlichen" Lösungen. Häufige Marketing-Botschaften sind "reich an natürlicher Kieselsäure", "traditionell bewährt seit Jahrhunderten" und "für Schönheit von innen". Die wissenschaftliche Evidenz wird selten erwähnt.
Influencer-Marketing spielt eine zunehmende Rolle. Beauty-Blogger berichten über ihre "Erfahrungen" mit Schachtelhalmkraut für schöne Haare und Nägel. Diese Berichte sind meist gesponsert, was nicht immer transparent gemacht wird. Die emotionale Ansprache ("Entdecke das Geheimnis schöner Haare") ist effektiver als sachliche Information.
Empfehlungen und kritische Betrachtung
Nach Durchsicht der wissenschaftlichen Literatur ergibt sich ein ernüchterndes Bild von Schachtelhalmkraut als Nahrungsergänzungsmittel. Die meisten beworbenen Wirkungen sind wissenschaftlich nicht belegt oder die Effekte sind minimal.
Wann könnte eine Anwendung sinnvoll sein?
Eine Anwendung von Schachtelhalmkraut kann in folgenden Situationen erwogen werden, wobei die Erwartungen realistisch bleiben sollten:
Bei leichten Harnwegsinfekten kann Schachtelhalm-Tee als unterstützende Maßnahme zur Durchspülung verwendet werden. Die harntreibende Wirkung ist belegt, auch wenn sie mild ist. Wichtiger als das Schachtelhalmkraut selbst ist die erhöhte Flüssigkeitsaufnahme. Jeder andere Kräutertee hätte vermutlich einen ähnlichen Effekt. Bei bakteriellen Infekten ersetzt Schachtelhalmkraut keine Antibiotika.
Menschen mit nachgewiesenem Siliziummangel (Blutwerte unter 0,2 mg/l) könnten theoretisch profitieren. Solche Mängel sind in Industrieländern jedoch extrem selten. Die normale Ernährung liefert ausreichend Silizium. Selbst bei einem Mangel wären siliziumreiche Lebensmittel oder moderne Silizium-Präparate effektiver als Schachtelhalmkraut.
Wann ist von einer Anwendung abzuraten?
In den meisten Fällen ist Schachtelhalmkraut überflüssig. Die versprochenen Wirkungen auf Haare, Nägel und Knochen sind nicht belegt. Das Geld ist in einer ausgewogenen Ernährung besser investiert. Eine Portion grüne Bohnen oder eine Banane liefert mehr verfügbares Silizium als eine Tagesdosis Schachtelhalm-Extrakt.
Bei ernsthaften Gesundheitsproblemen sollte Schachtelhalmkraut niemals eine medizinische Behandlung ersetzen. Die Verzögerung einer wirksamen Therapie durch den Glauben an pflanzliche "Wundermittel" kann gefährlich sein. Bei Osteoporose beispielsweise gibt es wirksame Medikamente und Lebensstilmaßnahmen. Schachtelhalmkraut gehört nicht dazu.
Kosten-Nutzen-Bewertung
Die Kosten für Schachtelhalm-Präparate stehen in keinem Verhältnis zum nachgewiesenen Nutzen. Mit 15-60 Euro pro Monat sind sie teurer als viele verschreibungspflichtige Medikamente mit bewiesener Wirksamkeit. Für den Preis einer Monatspackung Schachtelhalm-Kapseln kann man 10 Kilogramm Haferflocken kaufen, die mehr Silizium und zusätzlich wertvolle Ballaststoffe, Proteine und B-Vitamine liefern.
Fazit
Schachtelhalmkraut ist ein Beispiel dafür, wie traditionelle Anwendungen unkritisch in die moderne Nahrungsergänzungsmittel-Industrie übernommen werden. Die wissenschaftliche Evidenz für die meisten beworbenen Wirkungen fehlt oder ist schwach. Die harntreibende Wirkung ist die einzige gut belegte Eigenschaft, aber selbst diese ist mild und unspezifisch.
Die Bioverfügbarkeit von Silizium aus Schachtelhalmkraut ist gering. Nur 1-4% der enthaltenen Kieselsäure werden tatsächlich aufgenommen. Normale Lebensmittel wie Bananen, Bohnen oder Vollkornprodukte sind bessere Siliziumquellen. Die Behauptungen über positive Effekte auf Haare, Nägel und Knochen basieren hauptsächlich auf theoretischen Überlegungen und Einzelfallberichten, nicht auf kontrollierten Studien.
Die Sicherheit von Schachtelhalmkraut ist bei normaler Dosierung gegeben, aber Qualitätsprobleme und Verwechslungsgefahren bestehen. Die Kosten stehen in keinem Verhältnis zum marginalen Nutzen. Verbraucher sollten skeptisch gegenüber den Werbeversprechen sein und ihr Geld besser in eine ausgewogene Ernährung investieren.
Die Popularität von Schachtelhalmkraut zeigt den Wunsch vieler Menschen nach "natürlichen" Alternativen. Dieser Wunsch ist verständlich, sollte aber nicht dazu führen, wissenschaftliche Standards über Bord zu werfen. Natürlich bedeutet nicht automatisch wirksam oder sinnvoll. Eine kritische Bewertung auf Basis wissenschaftlicher Evidenz sollte auch bei pflanzlichen Präparaten Standard sein.
Quellenverzeichnis
- Carneiro DM, et al. (2012). Chemical composition and antioxidant activity of Equisetum arvense L. Journal of Medicinal Plants Research, 6(46), 5788-5794.
- Pallag A, et al. (2016). Analysis of phenolic compounds composition of Equisetum arvense. Farmacia, 64(3), 463-466.
- Sandhu NS, et al. (2010). Equisetum arvense: Pharmacology and phytochemistry review. Asian Journal of Pharmaceutical and Clinical Research, 3(3), 146-150.
- Sripanyakorn S, et al. (2009). The comparative absorption of silicon from different foods and supplements. British Journal of Nutrition, 102(6), 825-834.
- Jugdaohsingh R, et al. (2015). Silicon absorption and excretion is independent of age in healthy adults. British Journal of Nutrition, 114(6), 979-985.
- European Medicines Agency (2016). Assessment report on Equisetum arvense L., herba. EMA/HMPC/278090/2015.
- Carneiro DM, et al. (2014). Randomized, double-blind clinical trial to assess the diuretic effect of Equisetum arvense. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, 2014, 760683.
- Radulović N, et al. (2006). Antimicrobial plant extracts from Serbia. Food Chemistry, 97(2), 261-270.
- Nielsen FH (2014). Update on the possible nutritional importance of silicon. Journal of Trace Elements in Medicine and Biology, 28(4), 372-378.
- Corleto R, et al. (2018). Effects of Equisetum arvense extract on bone mineral density in osteoporotic women. Minerva Medica, 109(5), 342-351.
- Barel A, et al. (2005). Effect of oral intake of choline-stabilized orthosilicic acid on hair tensile strength. Archives of Dermatological Research, 297(4), 147-153.
- Costa-Rodrigues J, et al. (2012). Inhibition of human osteoclast formation by Equisetum arvense. Cell Proliferation, 45(6), 566-576.
- Ferreira MJ, et al. (2019). Topical application of Equisetum arvense on wound healing. International Wound Journal, 16(2), 332-338.
- Četojević-Simin DD, et al. (2010). Antioxidant and antiproliferative effects of Equisetum arvense extracts. Experimental and Toxicologic Pathology, 62(5), 519-526.
- Al-Snafi AE (2017). The pharmacology of Equisetum arvense - A review. IOSR Journal of Pharmacy, 7(2), 31-42.
- Fabre B, et al. (1993). Thiaminase activity in Equisetum arvense. Planta Medica, 59(5), 470-471.
- Gründemann C, et al. (2020). Quality control of herbal medicinal products. Planta Medica, 86(17), 1234-1245.
- Tucker KL, et al. (2009). Effects of beer, wine, and liquor intakes on bone mineral density. American Journal of Clinical Nutrition, 89(4), 1188-1196.
- Wickett RR, et al. (2007). Effect of oral administration of choline-stabilized orthosilicic acid on hair. Archives of Dermatological Research, 299(10), 499-505.
- European Food Safety Authority (2018). Safety assessment of silicon dioxide nanoparticles. EFSA Journal, 16(1), 5088.