Citrullin ist eine Aminosäure, die in den letzten Jahren zunehmend als Nahrungsergänzungsmittel Aufmerksamkeit erregt hat. Besonders im Sport- und Fitnessbereich wird sie oft als leistungssteigernde Substanz beworben. Doch was steckt wirklich hinter den Werbeversprechen? Dieser Artikel bietet eine objektive, wissenschaftlich fundierte Analyse der tatsächlichen Wirkungen, Dosierungen und Grenzen von Citrullin als Supplement.
Was ist Citrullin?
Citrullin ist eine nicht-proteinogene Aminosäure - das bedeutet, sie wird nicht direkt in Körperproteine eingebaut. Der Name stammt von der Wassermelone (Citrullus vulgaris), aus der die Substanz erstmals 1914 isoliert wurde [1]. Im Gegensatz zu den 20 proteinogenen Aminosäuren, die Bausteine der Proteine sind, gehört Citrullin zu den etwa 250 nicht-proteinogenen Aminosäuren mit speziellen Stoffwechselfunktionen.
Als nicht-essenzielle Aminosäure kann der Körper Citrullin selbst herstellen. Dies geschieht hauptsächlich im Dünndarm aus den Aminosäuren Glutamin und Arginin. Trotzdem kann eine zusätzliche Zufuhr über die Nahrung oder Supplemente in bestimmten Situationen sinnvoll sein [2].
Biochemische Funktionen im Körper
Um die Wirkweise von Citrullin zu verstehen, muss man seine Rolle im Stoffwechsel betrachten. Die Aminosäure ist an zwei zentralen Prozessen beteiligt:
Der Harnstoffzyklus
Der Harnstoffzyklus ist ein lebenswichtiger Prozess, der in der Leber abläuft. Er dient dazu, giftiges Ammoniak, das beim Abbau von Proteinen entsteht, in ungiftigen Harnstoff umzuwandeln. Täglich werden so etwa 10-20 Gramm Ammoniak aus dem Körper eines gesunden Erwachsenen entfernt [3].
Im Harnstoffzyklus entsteht Citrullin aus der Aminosäure Ornithin und Carbamoylphosphat. Diese Reaktion findet in den Mitochondrien (den „Kraftwerken“ der Zellen) statt und wird durch das Enzym Ornithin-Transcarbamylase katalysiert. Anschließend wird Citrullin ins Zytoplasma (den flüssigen Teil der Zelle) transportiert, wo es weiter zu Arginin umgewandelt wird [4].
Die Stickstoffmonoxid-Produktion
Die zweite wichtige Funktion von Citrullin hängt mit seiner Umwandlung zu Arginin zusammen. In den Nieren wird Citrullin durch spezielle Enzyme zu L-Arginin umgewandelt. Arginin ist die direkte Vorstufe von Stickstoffmonoxid (NO), einem wichtigen Botenstoff im Körper [5].
Stickstoffmonoxid erweitert die Blutgefäße, verbessert die Durchblutung und reguliert den Blutdruck. Diese gefäßerweiternde Wirkung ist der Hauptgrund für das Interesse an Citrullin als Nahrungsergänzungsmittel, besonders im Sportbereich [6].
Warum Citrullin statt Arginin?
Eine berechtigte Frage ist: Wenn Arginin die direkte Vorstufe von Stickstoffmonoxid ist, warum dann nicht gleich Arginin supplementieren? Die Antwort liegt in der unterschiedlichen Verstoffwechselung der beiden Aminosäuren.
Oral eingenommenes Arginin wird zu einem großen Teil bereits im Darm und in der Leber abgebaut, bevor es in den Blutkreislauf gelangt. Dieser „First-Pass-Effekt“ reduziert die Bioverfügbarkeit erheblich. Citrullin hingegen umgeht diesen Abbau und wird erst in den Nieren zu Arginin umgewandelt [7].
Studien zeigen, dass die Einnahme von Citrullin den Arginin-Spiegel im Blut effektiver erhöht als die direkte Einnahme von Arginin. In einer Untersuchung führte die kombinierte Gabe von je 1 Gramm Citrullin und Arginin zu höheren Arginin-Blutspiegeln als 2 Gramm einer der beiden Substanzen allein [8].
Citrullin-Malat: Die häufigste Supplement-Form
In Nahrungsergänzungsmitteln findet man meist nicht reines Citrullin, sondern Citrullin-Malat. Malat ist das Salz der Apfelsäure und spielt eine wichtige Rolle im Energiestoffwechsel der Zellen. Es ist Teil des Zitratzyklus, in dem Energie in Form von ATP produziert wird [9].
Die Kombination von Citrullin und Malat soll synergistische Effekte haben. Während Citrullin die Durchblutung verbessert, kann Malat die ATP-Produktion steigern. Studien zeigten eine um 34% erhöhte ATP-Produktion während des Trainings nach Einnahme von Citrullin-Malat [10].
Die meisten Citrullin-Malat-Präparate verwenden ein Verhältnis von 2:1 (zwei Teile Citrullin, ein Teil Malat). Bei der Dosierung ist zu beachten, dass 6 Gramm Citrullin-Malat nur etwa 3,5 Gramm reines Citrullin enthalten [11].
Wissenschaftlich belegte Wirkungen
Die Forschung zu Citrullin hat mehrere interessante Effekte aufgezeigt, wobei die Qualität der Evidenz je nach Anwendungsbereich variiert:
Sportliche Leistung
Mehrere Studien untersuchten den Einfluss von Citrullin auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Die Ergebnisse sind gemischt, zeigen aber einige positive Trends:
| Sportart/Aktivität | Dosierung | Beobachtete Effekte | Studienlage |
|---|---|---|---|
| Krafttraining | 6-8 g Citrullin-Malat | Mehr Wiederholungen (bis zu 50% mehr), weniger Muskelkater | Mehrere positive Studien |
| Radfahren (4 km Zeitfahren) | 6 g Citrullin täglich für 7 Tage | 1,5% schnellere Zeit | Eine Studie, kleine Teilnehmerzahl |
| Ausdauerleistung | 3-8 g Citrullin | Verbesserte Sauerstoffaufnahme, reduzierte Ermüdung | Gemischte Ergebnisse |
Eine Crossover-Studie mit trainierten Männern zeigte, dass 8 Gramm Citrullin-Malat vor dem Training zu deutlich mehr Wiederholungen bei Übungen wie Bankdrücken führte. Die Probanden schafften im Durchschnitt 52% mehr Wiederholungen und berichteten über 40% weniger Muskelkater 24 und 48 Stunden nach dem Training [12].
Allerdings gibt es auch Studien ohne signifikante Effekte. Eine Meta-Analyse von 2018 kam zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit von Citrullin für die sportliche Leistung noch nicht eindeutig belegt ist und weitere Forschung nötig ist [13].
Blutdruck und Gefäßgesundheit
Die gefäßerweiternde Wirkung von Citrullin macht es zu einem interessanten Kandidaten für die Unterstützung der Herz-Kreislauf-Gesundheit. Mehrere Studien zeigten positive Effekte:
In einer Studie mit Bluthochdruckpatienten führte die tägliche Einnahme von 6 Gramm Citrullin über 6 Wochen zu einer Senkung des systolischen Blutdrucks um durchschnittlich 6 mmHg und des diastolischen um 3 mmHg [14]. Eine andere Untersuchung mit Wassermelonensaft (reich an Citrullin) zeigte ähnliche Effekte bei älteren Erwachsenen [15].
Die Wirkung scheint dosisabhängig zu sein. Effekte auf den Blutdruck wurden meist erst ab Dosierungen von 6 Gramm täglich beobachtet. Bei älteren Menschen kann eine längere Einnahmedauer (8 Wochen) nötig sein, da sie Citrullin möglicherweise schlechter zu Arginin umwandeln [16].
Erektile Funktion
Da Stickstoffmonoxid eine wichtige Rolle bei der Erektion spielt, wurde Citrullin auch als natürliche Alternative zu Potenzmitteln untersucht. Eine kleine Studie mit 24 Männern mit leichter erektiler Dysfunktion zeigte, dass 1,5 Gramm Citrullin täglich über einen Monat bei 50% der Teilnehmer zu einer Verbesserung führte [17].
Die Evidenz ist hier jedoch begrenzt. Größere, besser kontrollierte Studien fehlen noch. Citrullin-Malat wird oft in Kombination mit anderen Substanzen wie Pinienrindenextrakt verwendet, was die Bewertung der Einzelwirkung erschwert [18].
Natürliche Citrullin-Quellen
Bevor man zu Supplementen greift, lohnt ein Blick auf natürliche Citrullin-Quellen:
| Lebensmittel | Citrullin-Gehalt (mg/100g) | Besonderheiten |
|---|---|---|
| Wassermelone (rotes Fruchtfleisch) | 100-150 | Variiert je nach Sorte und Anbaugebiet |
| Wassermelone (weiße Schale) | 150-350 | Höchster Gehalt in der Schale |
| Gelbe Wassermelone | 280-350 | Höherer Gehalt als rote Sorten |
| Gurke | 10-15 | Geringer Gehalt, aber kalorienarm |
| Kürbis | 10-20 | Andere Kürbisgewächse enthalten ebenfalls Citrullin |
| Weizen | 30-40 | Überraschend hoher Gehalt für ein Getreide |



