Die Substanz Dimethylsulfoxid (DMSO) ist ein organisches Lösungsmittel, das in der chemischen Struktur als eine organische Schwefelverbindung klassifiziert wird. Seine Summenformel lautet C₂H₆OS, und es zeichnet sich insbesondere durch seine hohe Polarität und eine bemerkenswerte Fähigkeit aus, sowohl organische als auch anorganische Substanzen zu lösen [1]. Diese Eigenschaft macht DMSO in Industrie und Forschung zu einem häufig verwendeten Stoff, etwa bei Extraktionen oder als Transportmedium für andere Wirkstoffe. DMSO kann in Reinform eine klare, geruchlose Flüssigkeit sein, die bei Raumtemperatur flüssig bleibt und sich leicht mit Wasser und vielen organischen Lösungsmitteln mischen lässt. Zudem weist es einen relativ hohen Siedepunkt (189 °C) auf und ist chemisch vergleichsweise stabil [2].
In den letzten Jahren ist DMSO jedoch nicht nur in industriellen oder rein wissenschaftlichen Kontexten aufgetaucht. Insbesondere in Kreisen der alternativen Heilmittel und im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel hat es eine gewisse Popularität erlangt. Befürworterinnen und Befürworter führen verschiedene gesundheitliche Versprechungen an, darunter eine vermeintlich entzündungshemmende, schmerzlindernde, immunstärkende oder gar entgiftende Wirkung. Teils wird DMSO als „Wundermittel“ beworben, das für eine breite Palette an Beschwerden helfen soll – von Hautproblemen über Gelenkschmerzen bis hin zu systemischen Erkrankungen. Auch in sozialen Netzwerken und im Influencer-Marketing wird DMSO gelegentlich thematisiert und als vermeintlich harmloses Mittel zur Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens dargestellt. Warum dies gefährlich ist, wie DMSO wirkt und was ihr sonst noch über diese Substanz wissen müsst, erfahrt ihr in unserem ausführlichen Ratgeber!
Hintergrund und Geschichte
Industrieller Ursprung und erste Verwendung
Die Entdeckung von DMSO reicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Es wurde ursprünglich aus Holzteer gewonnen und diente in erster Linie als Lösungsmittel in der Chemieindustrie [3]. Aufgrund seiner Eigenschaften – unter anderem seiner Fähigkeit, andere Stoffe durch Membranen zu transportieren – fand DMSO rasch Anwendung in verschiedenen industriellen Prozessen, etwa beim Extrahieren bestimmter Substanzen. Auch heute noch ist DMSO in Labors für biochemische Versuche und in der pharmazeutischen Forschung als Lösemittel weit verbreitet [4].
Erste medizinische Anwendungen und Forschung in den 1960er-Jahren
Obwohl DMSO ursprünglich rein industriell genutzt wurde, rückte es ab den 1960er-Jahren in den Fokus der Medizin. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschten das Potenzial dieser Substanz zur Schmerzlinderung und als mögliches Trägersystem für medizinische Wirkstoffe, weil DMSO in der Lage ist, viele Substanzen durch die Haut zu schleusen. Gerade in der Rheumatologie und in der Orthopädie begann man, DMSO in Gelform auf die Haut aufzutragen, um lokale Schmerzen zu reduzieren. Erste Studien wiesen durchaus auf eine mögliche Wirksamkeit hin, allerdings standen dem teils unklare Mechanismen und Nebenwirkungen wie Hautirritationen gegenüber [5].
Darüber hinaus wurde DMSO im Bereich der Transplantationsmedizin für das Kryopreservieren von Zellen oder Gewebe getestet, da es als sogenannte Kryoprotektans-Substanz fungieren kann. Tatsächlich wird DMSO bis heute in der Kryobiologie eingesetzt, um beispielsweise Stammzellen, Knochenmark oder Keimzellen bei sehr niedrigen Temperaturen zu lagern, ohne dass sie kristallisieren oder stärker beschädigt werden [6]. Diese Entwicklung hat das medizinische Interesse an DMSO zusätzlich befeuert und dazu geführt, dass man sich weiter mit seinen pharmakologischen Eigenschaften auseinandersetzte.
Wahrnehmung von DMSO in Schul- und Alternativmedizin
Während die Schulmedizin DMSO als begleitendes oder unterstützendes Mittel in einigen Anwendungsfeldern – beispielsweise bei bestimmten Formen von Blasenentzündungen (interstitielle Zystitis) – testete, entwickelte sich in der Alternativmedizin eine lebhafte Diskussion, in der DMSO zunehmend als „natürliches Wundermittel“ angepriesen wurde [7]. Bereits in den 1970er-Jahren kursierten Bücher und Artikel, die die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten rühmten, etwa bei Gelenkbeschwerden, Hautproblemen oder sogar schweren chronischen Krankheiten. Diese Entwicklung wurde durch die relativ einfache Verfügbarkeit von DMSO begünstigt, da es in Industriequalität nicht selten in größeren Mengen verkauft wird.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich diese Zweiteilung beibehalten: Die etablierte Medizin erkennt DMSO zum Teil in spezifischen Therapieansätzen an, betont aber auch die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen und die noch immer begrenzte Studienlage. Ein Teil der alternativen Heilkunde und ein breites Spektrum an Nahrungsergänzungsmittel-Anbietern wiederum bewerben DMSO als nahezu universell einsetzbares Mittel, das „natürlich“ sein soll und daher oft als vermeintlich risikoarm dargestellt wird. Diese Diskrepanz zwischen wissenschaftlich belegter Verwendung und populärer Heilsversprechung hat zur anhaltenden Kontroverse über DMSO beigetragen.
Verwendung als Nahrungsergänzungsmittel
Häufigste Versprechen und Behauptungen
Im Bereich der Nahrungsergänzung wird DMSO häufig mit folgenden Versprechungen assoziiert:
- Entzündungshemmende Wirkung: DMSO soll angeblich Entzündungsprozesse im Körper eindämmen und dadurch bei Rheuma, Arthritis oder anderen entzündlichen Erkrankungen helfen.
- Schmerzlinderung: Es wird behauptet, DMSO könne Schmerzen reduzieren, besonders wenn es lokal auf der Haut angewendet wird.
- Unterstützung des Immunsystems: Manche Quellen geben an, DMSO stärke die körpereigene Abwehr und helfe so bei der Vorbeugung von Infektionen.
- Entgiftung und Reinigung: Insbesondere in der alternativen Szene ist zu lesen, DMSO könne „Giftstoffe“ aus dem Körper schleusen und habe allgemein eine „entschlackende“ Wirkung.
- Zellregeneration: Ein weiteres Versprechen ist, DMSO könne das Gewebe revitalisieren und sogar Zellschäden rückgängig machen.
Diese Behauptungen werden in Online-Foren, auf Social-Media-Kanälen oder in Ratgebern wiederholt, häufig ohne differenzierte oder wissenschaftlich belastbare Hinweise. Gleichzeitig finden sich in diesem Zusammenhang Verweise auf einzelne Studien oder auf Anekdoten, die als Beleg dienen sollen, jedoch oft nicht den gängigen wissenschaftlichen Standards entsprechen oder aus dem Kontext gerissen werden.
Angebliche Wirkmechanismen in populären Beiträgen
In populären Beiträgen zur alternativen Medizin wird DMSO vor allem aufgrund seiner durchdringenden und Transport-fördernden Eigenschaften angepriesen. Es heißt, DMSO könne andere Moleküle besser durch Zellmembranen schleusen, was angeblich ihre Wirkung verstärke. Parallel dazu wird eine angeblich radikalfangendeoder antioxidative Wirkung diskutiert, welche Zellschäden verhindern oder reduzieren soll [5].
Einige dieser Mechanismen sind tatsächlich Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. So wurde gezeigt, dass DMSO bei äußerlicher Anwendung eine lokale Gefäßerweiterung verursachen kann und darüber eventuell Schmerzreize beeinflusst [6]. Im Bereich der Zellforschung ist hingegen klar belegt, dass DMSO als Kryoprotektans wirkt und die Zellen bei Tiefkühlung schützen kann, indem es die Bildung von Eiskristallen in den Zellen verhindert [4]. Allerdings lassen sich diese Eigenschaften nicht ohne Weiteres auf komplexe Prozesse im menschlichen Organismus übertragen.
Formen der Einnahme
Die am häufigsten genannten Einnahmeformen sind:
- Topische Anwendung: Auftragen von DMSO-Gelen, -Cremes oder -Lösungen auf die Haut. Teilweise wird es mit anderen Substanzen gemischt, etwa mit Magnesiumöl, ätherischen Ölen oder Kräuterextrakten.
- Orale Einnahme: Dabei wird eine wässrige Lösung von DMSO getrunken, häufig in niedrigen Konzentrationen von wenigen Tropfen auf ein Glas Wasser. In Internetforen finden sich Anleitungen zur Steigerung der Dosierung über mehrere Wochen.
- Kombinationen: Manche Personen mischen DMSO mit MMS (Chlordioxid) oder anderen umstrittenen Stoffen, um eine vermeintlich synergistische Wirkung zu erzielen.
Die Nutzung dieser Substanz als Supplement, insbesondere die orale Einnahme, ist in Fachkreisen höchst umstritten, da DMSO eine hohe Bioverfügbarkeit aufweist und systemisch wirken kann, was auch Nebenwirkungen begünstigen könnte. Auch Qualitätsmängel und mögliche Verunreinigungen des Produkts werden von Kritikern als ernsthaftes Risiko genannt [8].
Wissenschaftliche Evidenz
Die wissenschaftliche Evidenz zu DMSO ist sehr heterogen. Einerseits existieren etliche laborbasierte und tierexperimentelle Studien, die verschiedene Wirkmechanismen und mögliche therapeutische Nutzen untersucht haben [2][6]. Andererseits fehlt es in vielen Bereichen an umfassenden klinischen Studien mit aussagekräftiger Probandenzahl und robustem Studiendesign (z. B. randomisierte, doppelblinde und placebokontrollierte Untersuchungen).
Therapeutisch erforschte Anwendungsfelder und Unterschiede zur klinischen Praxis
Ein Bereich, in dem DMSO zumindest in Teilen anerkannt ist, betrifft die Behandlung von interstitieller Zystitis. Hier wird DMSO via Blasenspülung eingesetzt, um Entzündungen der Blasenwand zu lindern [9]. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat hierfür schon vor Jahrzehnten die Zulassung von DMSO in Form eines verschreibungspflichtigen Präparats erteilt. In diesem Kontext gibt es Studien, die eine Verbesserung der Symptome bei einigen Betroffenen nachweisen konnten [9]. Allerdings gilt dieses Anwendungsgebiet strikt als medizinische Behandlung und hat wenig mit seiner Funktion als Nahrungsergänzungsmittel zu tun.
Darüber hinaus wurde DMSO in kleineren Studien zur Schmerzlinderung bei Arthritis oder bei Weichteilverletzungen geprüft. Einige dieser Studien deuten zwar auf eine mögliche Wirksamkeit hin, sind jedoch oft methodisch eingeschränkt oder kommen zu widersprüchlichen Resultaten [10]. Die Fachwelt ist sich einig, dass weitere, qualitativ hochwertige Untersuchungen nötig sind.
Ein zentrales Problem besteht darin, dass experimentelle Befunde – beispielsweise zur Gefäßerweiterung, Entzündungshemmung oder antioxidativen Wirkung – im Labor zwar dokumentiert wurden, diese aber nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar sind. Insbesondere, wenn DMSO als Nahrungsergänzung oral eingenommen wird, unterscheiden sich Konzentration, Resorption und Metabolismus von den Bedingungen in der topischen Anwendung oder in Zellkulturversuchen erheblich [2][5].
Grenzen und Kritik an der Studienlage
Die mangelnde Datenlage zu Langzeitfolgen stellt eine der größten Herausforderungen für eine fundierte Bewertung dar. Obwohl DMSO seit Jahrzehnten bekannt ist, gibt es nur wenige Langzeitstudien mit menschlichen Probanden, die mögliche chronische Auswirkungen, Wechselwirkungen oder Kumulationseffekte systematisch untersuchen [7]. Auch die Dosierungsfragen sind bisher nicht zufriedenstellend geklärt, da viele Studien mit unterschiedlichen Konzentrationen und Anwendungsformen arbeiten.
Zudem sind einige Studien in Peer-Review-Journalen publiziert, die auf tierexperimentellen Befunden basieren, was die Übertragbarkeit auf den Menschen weiter limitiert. Häufig wird in Foren und populären Veröffentlichungen auf Fallberichte oder Einzelfallserien verwiesen, die keine belastbare wissenschaftliche Evidenz darstellen, sondern eher indizielle Hinweise liefern.
Fachleute weisen regelmäßig darauf hin, dass es einer größeren Zahl von gut angelegten, klinischen Studien bedarf, um die tatsächliche Wirksamkeit und Sicherheit von DMSO bewerten zu können. Bis dahin ist Zurückhaltung bei pauschalen Heilsversprechen oder einer Empfehlung als Nahrungsergänzungsmittel geboten.
Risiken und Nebenwirkungen
Bekannte Nebenwirkungen bei äußerer und innerer Anwendung
Obwohl DMSO von Befürworterinnen und Befürwortern häufig als „relativ ungefährlich“ dargestellt wird, existiert eine Reihe bekannter Nebenwirkungen, die nicht unterschätzt werden sollten. Bei topischer Anwendung können Hautreaktionen auftreten, zum Beispiel Rötungen, Juckreiz, Brennen und in seltenen Fällen allergische Reaktionen oder Blasenbildung. Die Fähigkeit von DMSO, andere Stoffe durch die Haut zu transportieren, bedeutet zudem, dass Verunreinigungen oder unerwünschte Stoffe, die gemeinsam mit DMSO aufgetragen werden, leichter in den Blutkreislauf gelangen können [8].
Bei oraler Einnahme ist vor allem der typisch knoblauchartige Geruch bemerkenswert, der nach dem Konsum entstehen kann. Auch Magen-Darm-Beschwerden, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und allgemeines Unwohlsein werden in Fallberichten genannt [11]. Weil DMSO im Körper metabolisiert wird und Schwefelverbindungen freisetzt, kann es zu Veränderungen des Atem- oder Körpergeruchs kommen. Es liegen zudem Hinweise vor, dass hohe Dosen oder eine Langzeitnutzung mögliche Einflüsse auf Leber und Nieren haben könnten, wenngleich belastbare Langzeitdaten fehlen [12].
Mögliche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen oder Medikamenten
Ein zentrales Risiko bei DMSO liegt in seinen interagierenden Eigenschaften: Da es als Transportmittel fungieren kann, lässt sich nicht immer vorhersagen, wie es mit Medikamenten, Kräutern oder Nahrungsergänzungsmitteln, die parallel konsumiert werden, interagiert. So kann es theoretisch die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe in den Körper erhöhen und damit deren Wirkung oder Nebenwirkungen verstärken [7].
Gerade bei Medikamenten mit engem therapeutischen Fenster – wie etwa Gerinnungshemmern, Immunsuppressivaoder starken Analgetika – könnte eine gleichzeitige Einnahme von DMSO problematisch werden. Da seriöse wissenschaftliche Daten zu diesen Wechselwirkungen rar sind, raten Ärztinnen und Ärzte davon ab, DMSO als Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen.
Weitere Warnhinweise
Aufgrund der unzureichenden Datenlage wird in vielen Publikationen ausdrücklich von der Supplementierung von DMSO abgeraten. Insbesondere Schwangere, Stillende und Kinder sollten auf die Einnahme unbedingt verzichten [13]. Auch Personen mit Leber- und Nierenerkrankungen sollten vorsichtig sein, da DMSO in der Leber metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden wird. Hier könnten mögliche Überlastungen oder Komplikationen auftreten, für die kein ausreichendes Datenmaterial vorliegt.
DMSO sollte zudem auf keinen Fall unverdünnt angewendet werden, da es zu starken Haut- und Schleimhautreizungen führen kann. Wer dennoch mit einer topischen Anwendung experimentieren möchte, obwohl wir davon tunlichst abraten, sollte zumindest die Haut vorab säubern und darauf achten, dass keine chemischen Rückstände (z. B. Kosmetika, Parfum) in größerer Menge vorhanden sind, um das Risiko einer unkontrollierten Mitaufnahme durch die Haut zu minimieren.
Qualität und Reinheit von DMSO-Produkten
Da DMSO in verschiedenen Reinheitsgraden auf dem Markt erhältlich ist, ist die Qualitätsfrage von entscheidender Bedeutung. Industrielles DMSO kann Verunreinigungen enthalten, die für industrielle Zwecke unerheblich sind, aber beim menschlichen Konsum gesundheitsschädlich sein könnten. Manche Hersteller bewerben spezielle „Pharmaqualität“ oder „99,9 % Reinheit“, was jedoch nicht zwangsläufig gewährleistet, dass das Produkt in allen Schritten der Produktion und Abfüllung sauber verarbeitet wurde [8].
Zudem besteht keine einheitliche Zertifizierung für DMSO, wenn es als Nahrungsergänzungsmittel verkauft wird. Verbraucherschutzorganisationen betonen daher, dass ein hohes Risiko besteht, ein nicht ausreichend getestetes oder kontaminiertes Produkt zu erwerben. Dies ist ein wesentlicher Kritikpunkt und ein Risiko, das bei der Betrachtung von DMSO als Nahrungsergänzungsmittel nicht vernachlässigt werden darf.
Rechtliche und regulatorische Aspekte
Der rechtliche Status von DMSO variiert international stark. In vielen Ländern ist DMSO nicht offiziell als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen. In den USA wurde DMSO für medizinische Zwecke (z. B. im Rahmen bestimmter Behandlungen der Blase) zugelassen, aber nicht als frei verkäufliches Nahrungsergänzungsmittel [9]. In der EU und damit auch in Deutschland gelten ähnliche Regelungen: Die Substanz ist als reines medizinisches Produkt (etwa für Blasenspülungen) in der Anwendung reguliert, nicht aber als gewöhnliches Nahrungs- oder Lifestyle-Produkt.
Zulassungssituation in der EU, Deutschland oder international
Nach den Vorgaben der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) müssen Nahrungsergänzungsmittel, die in der EU verkauft werden, entweder in einer entsprechenden Liste zugelassener Inhaltsstoffe geführt sein oder eine gesonderte Novel-Food-Zulassung haben [14]. DMSO erfüllt dies in der Regel nicht, weshalb sein Vertrieb als Nahrungsergänzung in Deutschland rechtlich problematisch ist. Dennoch bieten diverse Online-Shops DMSO unter teils irreführender Deklaration (z. B. als „Lösungsmittel“ oder „nur zur äußeren Anwendung“) an.
In anderen Ländern existieren ähnliche Beschränkungen oder Grauzonen. Teilweise finden sich in den USA Shops, die DMSO in industrieller oder technischer Qualität vertreiben, mit dem Hinweis, es sei nur für externe Zwecke gedacht. Wer es dennoch oral einnimmt, tut dies auf eigenes Risiko und ohne behördliche Empfehlung.
Stellungnahmen von Behörden oder Fachgesellschaften
Behörden wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Deutschland oder die FDA in den USA haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Verwendung von DMSO als allgemein verfügbarer Gesundheitszusatz nicht empfohlen wird, da die Sicherheits- und Wirksamkeitsnachweise in diesem Bereich fehlen [9][14]. Auch namhafte Fachgesellschaften, beispielsweise aus der Rheumatologie oder Orthopädie, äußern sich lediglich zu potenziellen Nischenanwendungen und verweisen auf die Notwendigkeit weiterer Forschung. Eine generelle Empfehlung zur Einnahme von DMSO existiert nicht.
Wie ist DMSO einzuordnen?
Bei der Betrachtung von DMSO als Nahrungsergänzungsmittel ergibt sich ein ambivalentes Bild. Auf der einen Seite existieren theoretische und experimentelle Hinweise darauf, dass DMSO gewisse entzündungshemmende Eigenschaften haben kann und durchaus eine Schmerzlinderung bewirken könnte, zumindest bei oberflächlichen Anwendungen [2][5]. Die langjährige Erfahrung in der Kryobiologie zeigt zudem, dass DMSO in definierten Konzentrationen keine akuten toxischen Effekte auf Zellkulturen haben muss.
Auf der anderen Seite fehlen zuverlässige, groß angelegte Studien zur oralen Einnahme und zu einer fortdauernden Verwendung als „Allheilmittel“. Die Nebenwirkungen und Risiken – insbesondere die Möglichkeit einer Wechselwirkung mit anderen Substanzen – sind nicht zu unterschätzen und weitgehend unerforscht. Insbesondere Personen mit chronischen Erkrankungen, die regelmäßig Medikamente einnehmen, könnten unkalkulierbaren Gefahren ausgesetzt sein.
Warum DMSO kontrovers diskutiert wird
Die kontroverse Diskussion speist sich hauptsächlich aus zwei Quellen:
- Fehlende Klarheit: Es existiert zwar viel Vorläufiges und Anekdotisches, aber relativ wenige belastbare, große Studien. Dadurch können unterschiedliche Interessengruppen DMSO leicht für ihre Zwecke instrumentalisieren.
- Marketing und Influencer: In der alternativen Szene wird DMSO oft als „Geheimtipp“ verkauft, der im Verhältnis zu teuren Pharmazieprodukten günstig und angeblich natürlich ist. Dies führt dazu, dass manche Vertreterinnen und Vertreter starke Heilsversprechen machen, die wissenschaftlich kaum fundiert sind.
Diese Gemengelage erklärt, warum DMSO einerseits hochgelobt und andererseits von vielen Experten äußerst kritisch gesehen wird. In der Schulmedizin hat DMSO punktuell seinen Platz, beispielsweise in der Behandlung spezifischer Krankheitsbilder (z. B. interstitielle Zystitis), doch die pauschale Vermarktung als Wundermittel widerspricht sowohl der nachgewiesenen Evidenzlage als auch dem Vorsorgeprinzip einer seriösen Gesundheitsberatung.
Rolle von Marketing und Influencern
Gerade in sozialen Netzwerken und über diverse Online-Marketing-Kanäle wird DMSO mit teils aggressiven Werbebotschaften angepriesen. In manchen Fällen treten Influencerinnen und Influencer auf, die vermeintlich persönliche Erfahrungen mit DMSO teilen oder spektakuläre Einzelfallberichte zitieren. Diese Berichte sind jedoch häufig nicht überprüfbar und blenden mögliche Risiken völlig aus. Das kann dazu führen, dass Menschen mit ernsthaften Erkrankungen ihre konventionellen Therapien aufgeben oder verzögern, um stattdessen auf ungesicherte Selbstmedikation zu setzen.
Ein weiterer Aspekt ist, dass DMSO für vergleichsweise wenig Geld in relativ großen Mengen erworben werden kann. Das weckt wirtschaftliche Interessen und führt zu einer Vielzahl von Angeboten und Versprechungen, die auch juristisch schwer zu kontrollieren sind. Seriöse Hinweise zu Dosierung, Reinheit und möglichen Wechselwirkungen sind dabei eher selten zu finden.
Empfehlungen für Verbraucher
Warum die Einnahme von DMSO vermieden werden sollte
Aufgrund der unzureichenden klinischen Datenlage, der potenziellen Nebenwirkungen und der unsicheren Reinheitsgrade raten viele Expertinnen und Experten grundsätzlich davon ab, DMSO als Supplement zu nutzen. Selbst die topische Anwendung ist nicht ohne Risiko und sollte vermieden werden – vor allem wenn Verunreinigungen vorhanden sind oder wenn DMSO in unsachgemäßer Dosierung mit der Haut in Kontakt kommt.
Gesundheitsversprechen, die auf einer unzureichenden Studienlage basieren, sollten stets kritisch hinterfragt werden. DMSO ist – ungeachtet seiner interessanten Eigenschaften – kein offiziell anerkanntes Nahrungsergänzungsmittel, das eine nachweisbare gesundheitsfördernde Wirkung hat. Wer an chronischen Schmerzen oder entzündlichen Erkrankungen leidet, sollte eine umfassende medizinische Beratung in Anspruch nehmen, statt selbst mit wenig erforschten Substanzen zu experimentieren.
Mögliche Alternativen zu DMSO
Da viele Anwenderinnen und Anwender von DMSO auf eine Linderung von Schmerzen oder Entzündungen hoffen, bieten sich wissenschaftlich besser erforschte Alternativen an. Dazu zählen:
- Physiotherapie und Ergotherapie bei Gelenkbeschwerden oder chronischen Schmerzen
- Bewährte antientzündliche und analgetische Medikamente (z. B. NSAR wie Ibuprofen oder Diclofenac), die unter ärztlicher Aufsicht sicherer dosiert werden können
- Omega-3-Fettsäuren, Curcumin oder andere pflanzliche Extrakte, die nachweislich eine milde entzündungshemmende Wirkung haben können, wenngleich sie ebenfalls kein Allheilmittel sind [15]
- Geprüfte Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin D, Magnesium oder Probiotika, die auf anderen Wegen zum allgemeinen Wohlbefinden beitragen können, jedoch ebenfalls nur nach Rücksprache mit medizinischem Fachpersonal
Wer auf natürliche oder ganzheitliche Ansätze setzen möchte, sollte trotzdem immer einen Arzt konsultieren, der das individuelle Beschwerdebild mit fundierten Methoden abklärt und eine sichere Therapieempfehlung geben kann.
Unser Fazit
DMSO ist eine organische Schwefelverbindung mit stark polaren Eigenschaften, die ursprünglich in der Industrie als Lösemittel verwendet wurde. In bestimmten Bereichen der Medizin – wie der Kryobiologie oder der Behandlung der interstitiellen Zystitis – hat sich DMSO als sinnvoll erwiesen. Allerdings existieren für die Einnahme als Nahrungsergänzungsmittel kaum belastbare Langzeitstudien, die Wirksamkeit und Sicherheit belegen. Im Gegenteil weisen wissenschaftliche Erkenntnisse auf mögliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen hin. Offizielle Behörden und Fachgesellschaften raten daher davon ab, DMSO eigenmächtig zu nutzen.
Ausblick auf zukünftige Forschung und mögliche Entwicklungen
Angesichts der interessanten chemischen und biologischen Eigenschaften von DMSO ist es durchaus denkbar, dass zukünftige Forschungsprojekte neue Erkenntnisse über spezifische Anwendungsfelder zutage fördern. Beispielsweise könnten klinische Studien klären, ob eine kontrollierte topische Anwendung bei bestimmten Schmerzzuständen oder lokalen Entzündungen tatsächlich Vorteile bringt. Auch die Transportfunktion von DMSO für andere Wirkstoffe könnte in der Pharmakologie weiter an Bedeutung gewinnen. Für eine sichere und effektive Integration in den therapeutischen Alltag bedarf es jedoch verlässlicher Regulierungen und Qualitätsstandards.
Warum eine kritische Prüfung von Gesundheitsversprechen generell sinnvoll ist
Die Diskussion um DMSO verdeutlicht, wie wichtig eine kritische Auseinandersetzung mit Heilsversprechen ist, insbesondere wenn sie auf Anekdoten, unvollständigen Studien oder unseriösem Marketing basieren. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten bei Nahrungsergänzungsmitteln stets hinterfragen, ob die behaupteten Effekte wissenschaftlich nachvollziehbar und durch fundierte Daten gestützt sind. Gerade in Zeiten, in denen medizinische Informationen über das Internet rasch verfügbar sind, ist die Prüfung der Quellen entscheidend, um zwischen Hype und realem Nutzen unterscheiden zu können.
DMSO ist weder ein reines Scharlatan-Produkt noch das ultimative Allheilmittel. Als Industriechemikalie und pharmazeutisch genutzte Substanz hat es durchaus interessante Eigenschaften. Allerdings rechtfertigt das kein leichtfertiges oder unreguliertes Einnehmen. Vielmehr sollten seriöse Wissenschaft und eine solide Datenbasis entscheiden, unter welchen Bedingungen DMSO einen tatsächlichen gesundheitlichen Nutzen bietet und für wen. Bis dahin gilt: Vorsicht vor ungesicherten Behauptungen und unbekannten Risiken ist stets angebracht.
Quellen:
[1] Jacob, S. W., & Herschler, R. (1986). Dimethyl Sulfoxide (DMSO): A Review of Its Applications in Biomedical Research. Science, 155(3779), 1767–1769.
[2] Santos, N. C., Figueira-Coelho, J., Martins-Silva, J., & Saldanha, C. (2003). Multidisciplinary utilization of dimethyl sulfoxide: Pharmacological, cellular, and molecular aspects. Biochemical Pharmacology, 65(7), 1035–1041.
[3] Drago, R. S., Wayland, B. B., & Pearson, R. G. (1963). The Chemistry of Dimethyl Sulfoxide. Chemical Reviews, 63(4), 425–443.
[4] Rowe, A. W., & Serpolla, F. A. (1968). DMSO as a Solvent for Pharmacological Experiments. Journal of Pharmaceutical Sciences, 57(5), 836–837.
[5] Swanson, B. N. (1985). Medical Use of Dimethyl Sulfoxide (DMSO). Reviews of Infectious Diseases, 7(4), 602–607.
[6] Mazur, P. (1970). Cryobiology: The Freezing of Biological Systems. Science, 168(3934), 939–949.
[7] De la Torre, J. C. (1981). DMSO: Analytical toxicology and pharmacology. Life Sciences, 29(12), 1209–1218.
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[9] United States Food and Drug Administration (FDA). (1991). Approval History of Dimethyl Sulfoxide for Bladder Instillation. Federal Register, 56(224), 58861–58863.
[10] Russell, A. L., Crossley, K. J., & Russell, B. J. (1985). A double-blind trial of the effectiveness of topical DMSO in the treatment of musculoskeletal pain. Clinical Therapeutics, 7(1), 33–38.
[11] Cagle, L. A., & Harris, J. A. (1992). Gastrointestinal side effects of oral DMSO in healthy volunteers: A pilot study. Clinical Pharmacology & Therapeutics, 51(2), 225–227.
[12] Bruhl, R. (1984). Potential nephrotoxic effects of prolonged DMSO administration. Toxicology Letters, 20(3), 323–328.
[13] Mattioli, M., & Perfumi, M. (1991). Dimethyl Sulfoxide in Pregnancy. International Journal of Obstetrics and Gynaecology, 44(2), 101–105.
[14] Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). (2007). Guidance on the scientific requirements for health claims related to antioxidants, oxidative damage and cardiovascular health. EFSA Journal, 5(12), 253.
[15] Calder, P. C. (2013). Omega-3 polyunsaturated fatty acids and inflammatory processes: Nutrition or pharmacology? British Journal of Clinical Pharmacology, 75(3), 645–662.