L-Carnitin ist von grundlegender Bedeutung für einen gesunden Stoffwechsel. Doch wofür genau braucht unser Körper es eigentlich? Kann er ausreichende Mengen selbst produzieren oder muss es von außen zugeführt werden? Hat es einen Vorteil, zusätzliches Carnitin in Form von Supplements einzunehmen oder birgt die Einnahme gar ungeahnte Risiken? Diese und weitere Fragen sollen in diesem Ratgeber umfassend beantwortet werden.
Was ist eigentlich L-Carnitin?
L-Carnitin (auch Levocarnitin, kurz: Carnitin) ist eine quartäre Ammonium-Verbindung, die in allen Lebewesen vorkommt und einen wichtigen Beitrag für grundlegende Stoffwechselaktivitäten in den Zellen leistet. Es spielt eine tragende Rolle im menschlichen Energiestoffwechsel, indem es den Transport von Fettsäuren zum Ort ihrer Verbrennung ermöglicht. Vor allen Dingen in der Leber, aber auch im Gehirn und in den Nieren kann Carnitin aus den essentiellen Aminosäuren Lysin und Methionin selbst hergestellt werden. Für diese körpereigene Synthese sind neben der beiden Aminosäuren auch Vitamin C, Vitamin B6, Niacin und Eisen als Co-Faktoren von Bedeutung. Bei gesunden Menschen ist allein dieser Syntheseweg bedarfsdeckend, sodass die selbst produzierte Menge an Carnitin ausreicht, um den Körper mit der notwendigen Menge zu versorgen. Das bedeutet allerdings auch, dass eine Unterversorgung mit den notwendigen Mikronährstoffen die Bildung von körpereigenem L-Carnitin beeinträchtigen kann. Zusätzlich zu der Synthese kann die wichtige Verbindung aber auch direkt aus der Nahrung bezogen werden, sodass in der Regel kein Mangel beobachtet werden kann. Ein Überschuss, der über den Bedarf hinaus geht, wird rasch über die Nieren ausgeschieden.
Wofür benötigen wir L-Carnitin?
L-Carnitin spielt vor allen Dingen eine Rolle für die Bereitstellung von Energie. Der Energiestoffwechsel umfasst sämtliche Prozesse, die der Körper aufwendet, um Energie zu gewinnen, die er unter anderem für Aufbau, Bewegung oder aktive Stoffwechselfunktionen benötigt. Als primäre Ausgangsstoffe für diese Energie dienen die Makronährstoffe (Kohlenhydrate, Fette und Proteine). Dabei stellen Fette sowohl eine sofort verfügbare Energiequelle als auch eine Speicherform dar, die bei Bedarf zur Energiegewinnung „verbrannt“ wird. Diese Verbrennung findet in den Mitochondrien der Zellen statt. Aus diesem Grunde wird dieses Zellorganell auch als „Kraftwerk der Zelle“ bezeichnet.
Langkettige Fettsäuren aus der Nahrung oder bei hohem Bedarf auch mobilisierte Fettsäuren aus den Fettreserven des Körpers können nur dann in die Mitochondrien gelangen, wenn sie für die Passage durch die umgebene Membran an Carnitin gebunden sind. Erst dieser Transport ermöglicht den Zugang zu den biochemischen Prozessen im Innern und die Bildung des universellen Energieträgers Adenosintriphosphat (ATP) aus eben diesen langkettigen Fettsäuren.
Den höchsten Bedarf an Energie besitzen Muskel- und Nervenzellen. Aus diesem Grunde haben sie eine besonders hohe Dichte an Mitochondrien. In einer Zelle des Herzmuskels zum Beispiel erreichen die Mitochondrien einen Volumenanteil von 36 Prozent. Da es dort also am meisten gebraucht wird, befinden sich etwa 98 Prozent des im Körper gespeicherten Carnitins in der Skelett- und Herzmuskulatur. Insgesamt liegen im menschlichen Körper schätzungsweise 20 bis 25 g Carnitin vor.
Dadurch, dass Carnitin den Transport von Fettsäuren in die Mitochondrien unterstützt, bewirkt es indirekt eine Absenkung der Blutfettwerte. Dadurch werden Folgeerkrankungen wie Atherosklerose und einem daraus resultierenden erhöhten Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall reduziert. Auch eine Reduktion von oxidativem Stress und eine regulierende Auswirkung auf den Blutzuckerspiegel lässt sich somit zum Teil auf indirekte Auswirkungen des Carnitins zurückführen.
Was geschieht bei einem Mangel an L-Carnitin?
Ein tatsächlicher Mangel an Carnitin kommt normalerweise bei gesunden Menschen nicht vor. Es gibt allerdings einige Faktoren, die zu einer Unterversorgung führen können. Hierzu gehören zum Beispiel eine extrem mangelhafte Ernährung, insbesondere in Bezug auf Proteine. Dabei sei ausdrücklich ergänzt, dass eine vegane Ernährung in der Regel nicht zu einer Unterversorgung mit Carnitin führt. Vielmehr sind es Unterernährungen oder stark ausgeprägte Essstörungen (z. B. Magersucht), die neben vielen anderen Nährstoffen auch zu einer Unterversorgung mit Carnitin führen. Auch können diverse Erkrankungen (z. B. Diabetes, Leber- oder Nierenerkrankungen) oder eine Chemotherapie bei Krebspatienten eine Unterversorgung von Carnitin begünstigen, da in diesen Fällen eine stark erhöhte Carnitinausscheidung stattfinden kann. Die Symptome einer Unterversorgung reichen von Muskelschwäche und Müdigkeit bis hin zu Hirnleistungsstörungen, Fettleber oder Funktionsstörungen der Herzmuskulatur. Dabei spielt vor allen Dingen eine Rolle, wie ausgeprägt die Unterversorgung ist und wie lange sie anhält. Da Carnitin sehr gut über den Darm aufgenommen wird, bietet eine Supplementierung eine einfache Möglichkeit, eine Unterversorgung zu vermeiden und Folgeschäden abzuwenden. Dies wird weiter unten genauer thematisiert.
Ein seltener genetischer Defekt, der interessanterweise auf den Färöer Inseln deutlich häufiger verbreiteter ist, führt zu einem sogenannten systemischen primären Carnitinmangel (SPCD). In Europa liegt die Inzidenz dieser Erkrankung Schätzungen zufolge bei 1:20.000 bis 1:70.000. In Deutschland werden Säuglinge im Rahmen eines Neugeborenenscreenings standardmäßig auf diesen Defekt untersucht. Die Symptome der Betroffenen stellen sich sehr unterschiedlich dar, umfassen allerdings immer eine gewisse Muskelschwäche. Im schlimmsten Fall kann der Mangel an Carnitin bereits in jungen Jahren zu tödlichen Störungen der Herzfunktion führen. Durch eine lebenslange Supplementierung können die Folgen des Defekts abgewendet werden.
Wie kann L-Carnitin aufgenommen werden?
Carnitin kann direkt mit der Nahrung aufgenommen werden. Dabei wird es im Dünndarm über aktiven Transport in die Epithelzellen eingeschleust und über das Blut in die Muskelzellen transportiert. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bis zu 100 Prozent des in der Nahrung enthaltenen Carnitins auf diese Weise auch tatsächlich vom Körper aufgenommen wird. Bei einer ausgewogenen omnivoren Ernährung gelangen somit täglich etwa 32 mg L-Carnitin direkt über die Ernährung in den Kreislauf. Zum Vergleich: Der tägliche Bedarf wird auf 15 bis 18 mg geschätzt.
Da auch Tiere den absoluten Großteil ihres Carnitins in der Muskulatur speichern, sind insbesondere Fleisch und Fisch sowie daraus gefertigte Lebensmittel eine hervorragende Quelle für Carnitin. Dabei ist der Anteil in Rind oder Wild besonders hoch, in Schwein, Geflügel, Fisch und Milchprodukten ist er etwas niedriger. Grundsätzlich enthalten auch pflanzliche Lebensmittel Carnitin, der Anteil ist aber deutlich geringer als in tierischen Produkten, sodass ein Vegetarier Schätzungen zufolge täglich nur 2 mg Carnitin direkt mit der Nahrung aufnimmt.
Entscheidend ist die Eigensynthese
An dieser Stelle darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Bedarfsdeckung an Carnitin eigentlich bereits über die Eigensynthese aus den essentiellen Aminosäuren Lysin und Methionin erfolgt. Nahrungsmittel stellen somit nur eine zusätzliche, nicht aber die einzige Quelle für Carnitin dar. Aus diesem Grunde gibt es bis heute keine Referenzwerte für die tägliche Aufnahme von Carnitin von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Für eine ausreichende Synthese von Carnitin ist es von wesentlicher Bedeutung, ausreichende Menge von Lysin und Methionin aufzunehmen. Auch sie finden sich in großer Menge in tierischen Produkten, aber auch in Hülsenfrüchten, Nüssen und Getreide. Eine zusätzliche optimale Versorgung mit den Vitaminen B6 und C, Niacin und Eisen ist ebenfalls wichtig, um eine bedarfsdeckende Synthese von Carnitin sicherzustellen.
Zusammenfassend ist es somit möglich, den Tagesbedarf an Carnitin allein über die Ernährung zu decken, auch wenn praktisch durch die trotzdem stattfindende Eigensynthese der Großteil einfach wieder ausgeschieden wird. Das bedeutet, dass selbst bei der Aufnahme von sehr geringen Mengen Carnitin über die Nahrung, der Bedarf über die Eigensynthese problemlos gedeckt werden kann, wenn die vegetarische oder vegane Ernährung ausgewogen ist und kein Mangel der beteiligten Mikronährstoffe vorliegt. Sollte ein solcher Mangel allerdings tatsächlich vorliegen, wäre es klüger, diesen Mangel (ggf. durch Supplements) zu beheben als das Carnitin selbst, das nur einen einzigen Aspekt des betreffenden Mikronährstoffs berücksichtigt.
L-Carnitin in Supplements
Carnitin kann mit relativ einfachen Mitteln auf biotechnologischem Wege in großen Mengen mithilfe von speziellen Bakterien hergestellt werden und ist dadurch vergleichsweise kostengünstig in der Produktion. Allein diese Tatsache könnte erklären, warum Carnitin als beliebtes Supplement vermarktet wird. Es verspricht in erster Linie eine große Gewinnspanne, bietet aber tatsächlich nur Vorteile für die wenigen Menschen, bei denen tatsächlich eine Unterversorgung vorliegt.
Carnitin liegt als einzelnes Nahrungsergänzungsmittel zumeist in Kapselform vor, die eine Tagesdosis von 500 bis 2000 mg vorsehen. Die magensaftresistenten Kapselhüllen versprechen einen sicheren Transport des Inhalts bis in den Dünndarm, dem Ort der Resorption. Auch viele Kombipräparate enthalten Carnitin, damit es die „Gesamtwirkung“ eines bestimmten Produktes verbessert. Dabei kann das enthaltene Carnitin in unterschiedlichen Formen vorliegen. Hierzu gehören z. B. Acetylcarnitin, Carnitin-Hydrochlorid oder Carnitintartrat.
Über den besten Zeitpunkt der Einnahme gibt es unterschiedliche Angaben der Hersteller. Einige präferieren eine Einnahme kurz vor einer Trainingseinheit, andere eine reguläre Einnahme zur Mahlzeit. Das hängt immer von der Zielgruppe der entsprechenden Produkte ab. Auf diese Gruppen soll im Folgenden detaillierter eingegangen werden.
Wofür L-Carnitin Supplements einnehmen?
Es wurde bereits erläutert, dass die Versorgung von Carnitin bei gesunden Menschen, die sich (vegan oder nicht vegan) ausgewogen ernähren, in der Regel ausreichend ist. Dennoch wird Carnitin als Supplement angeboten und teilweise mit großen Versprechen beworben. Ziel der Werbung sind in erster Linie Menschen, die abnehmen möchten oder Sportler. Entsprechende Produkte werden als „Fatburner“ oder „zur Leistungssteigerung“ beworben. Doch können diese Menschen wirklich von einer zusätzlichen Einnahme von Carnitin profitieren. Und was ist mit Menschen, die krankheitsbedingt tatsächlich von einer Unterversorgung betroffen sind? Schauen wir uns nun an für wen und wofür L-Carnitin wirklich von Nutzen sein kann.
Menschen, die abnehmen möchten → Nein!
Die Tatsache, dass Carnitin notwendig ist, damit Fettsäuren, insbesondere aus dem Fettgewebe, verbrannt werden, macht es zu einem vielversprechenden „Fatburner“, der den abnehmenden Menschen dabei unterstützen soll, möglichst viel der ungewünschten Fettreserven einfach in Energie umzuwandeln. Doch so einfach ist das natürlich nicht. Abgesehen davon, dass ein Überschuss über den normalen Bedarf an Carnitin zügig mit dem Urin wieder ausgeschieden wird und das toll beworbene Supplement am Ende in der Toilette landet, wird weder der Transport der Fettsäuren noch dessen Verbrennung durch zusätzliches Carnitin verstärkt. Aus diesem Grunde lehnte die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) die gesundheitlichen Versprechen „Förderung des Fettstoffwechsels“ und „Einfluss auf den normalen Stoffwechsel“ für Carnitin-Supplements aus Mangel an wissenschaftlichen Belegen ab. Dennoch kursieren solche Versprechen in Foren und in sozialen Medien. Die Verbraucherzentrale schlussfolgert, dass mit der Einnahme von Carnitin zum Abnehmen anstelle von Fett eher Geld verbrannt wird. [1]
In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 versuchten Wissenschaftler etwas Ordnung in die Studienlage zu bringen, die bis dahin zum Teil etwas widersprüchlich war. Sie analysierten 37 Studien mit insgesamt 2.292 Teilnehmern und fassten die Ergebnisse zusammen. Dabei zeigten sich bescheidene Ergebnisse einer Carnitin-Supplementierung in Bezug auf Körpergewicht, den BMI und die Fettmasse bei übergewichtigen Erwachsenen. Für den Körperfettanteil wurde gar kein Effekt festgestellt. [2]
Sportler → Nein!
Auch für Sportler wird eine Supplementierung von Carnitin offensiv beworben. Eine Einnahme habe das Potential, die Leistung und Ausdauer der Muskulatur zu steigern und könne gerade in knappen Wettkampfsituationen einen entscheidenden und legalen Vorteil bringen. Begründet wird auch dieser Effekt mit einer erhöhten Fettverbrennung und damit einer gesteigerten Energiezufuhr. Doch auch hier ist davon auszugehen, dass sich der Effekt tatsächlich in Grenzen hält, da aufgenommenes Carnitin, das über den Bedarf hinausgeht, zügig ausgeschieden wird. Nun ist es so, dass bei starker sportlicher Aktivität der Bedarf an Energie ja durchaus erhöht ist. Doch es ist zum Einen so, dass Carnitin bei seiner Arbeit, also dem Transport von Fettsäuren durch die Membran der Mitochondrien, nicht verbraucht wird, sondern immer wieder verwendet werden kann. Daher ist die gespeicherte Menge an Carnitin auch deutlich größer als der tägliche Bedarf. Zum anderen konnte bereits vor über 20 Jahren durch Studien gezeigt werden, dass sich auch bei einer langfristigen Supplementierung über einen Monat der Anteil an Carnitin zwar kurzzeitig im Blut erhöht, nicht aber in den Muskelzellen. [3] Eine Erhöhung des Carnitins in den Muskelzellen wäre somit nur denkbar, wenn ein grenzwertiger Mangel vorliegen würde, die durch die Gabe ausgeglichen werden könnte.
Zahlreiche Studien haben den Effekt von Carnitin auf die Leistung, die Ausdauer und die Regeneration von Athleten verschiedenster Sportarten untersucht und kommen zu teils widersprüchlichen Ergebnissen. Aus diesem Grunde ist ein Effekt eher zweifelhaft. Im Jahr 2018 veröffentlichten australische Sportwissenschaftler auf dem Boden der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage eine Übersicht über unterschiedliche Nahrungsergänzungsmittel, die im Sportbereich zum Einsatz kommen. Sie erklärten, dass die mangelnde Wirksamkeit der oralen L-Carnitin-Supplementierung in vielen Studien auf die fehlende Erhöhung der Muskel-Carnitin-Speicher zurückzuführen ist. Aufwendige Einnahmeprotokolle wie die Kombination von hoch dosiertem Carnitin mit speziellen Kohlenhydraten könnten zwar eventuell zu einer leichten Erhöhung der intramuskulären Carnitin-Spiegel führen, seien aber aufgrund der unklaren Sicherheitslage bei langfristiger Anwendung zum aktuellen Zeitpunkt nicht zu empfehlen. [4]
Diabetiker
Der Fettstoffwechsel und der Kohlenhydratstoffwechsel sind eng miteinander verbunden und über komplexe Verknüpfungen miteinander verzahnt. So zeigen sich bei Diabetikern, dessen Erkrankung sich durch einen anhaltend zu hohen Glukosespiegel im Blut auszeichnet, auch Effekte im Fettstoffwechsel. Insbesondere ein niedriger Carnitin-Wert steht dabei im Verdacht, einige Komplikationen, die in Zusammenhang mit einer Diabeteserkrankung auftreten können, direkt oder indirekt zu begünstigen. Hierzu gehören unter anderem schlechte Blutfettwerte oder Bluthochdruck. Einige Studien deuten darauf hin, dass eine Verabreichung von Carnitin bei Diabetikern ein einfaches Hilfsmittel darstellt, um solche Komplikationen zu reduzieren. [5] Eine jüngere Studie aus dem Jahr 2021 konnte außerdem zeigen, dass die Supplementierung von L-Carnitin die Blutzuckerkontrolle bei Diabetes-Typ-2-Patienten verbessern konnte [6]. Insgesamt ist die Datenlage zwar dünn, aber vielversprechend. Jedoch sind weitere Untersuchungen nötig, um wissenschaftlich basierte Empfehlungen für Diabetiker zur Supplementierung von Carnitin aussprechen zu können. Betroffene können aber ihr Plasma-Carnitin bestimmen lassen und bei tatsächlich reduzierten Werten in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt eine Carnitin-Supplementierung in Erwägung ziehen, um eventuelle Komplikationen der Diabeteserkrankung möglicherweise zu verbessern.
Krebspatienten
Studien konnten zeigen, dass bei bis zu 80 Prozent der Krebspatienten ein Mangel an Carnitin festzustellen ist. Dies könnte zum einen an einer allgemein stark reduzierten Ernährung liegen, die die Verfügbarkeit der notwendigen Mikronährstoffe für die Synthese nicht sicherstellen kann. Zum anderen erhöhen auch einige Medikamente, die im Rahmen einer Chemotherapie verabreicht werden, die Ausscheidung von Carnitin über die Nieren drastisch, sodass selbst bei ausreichender Ernährung und Eigensynthese ein Mangel entstehen kann. [7]
Bereits 2012 stellte eine Forschergruppe der Universität Greifswald fest, dass die tägliche Gabe von 4 g Carnitin über 12 Wochen den Gewichtsverlust bei Patienten mit fortgeschrittenem Bauchspeicheldrüsenkrebs ausbremsen konnte und nicht nur den Ernährungszustand, sondern auch die Lebensqualität der Patienten deutlich steigerte [8]. Auch bei anderen Krebserkrankungen zeigt sich ein positiver Effekt des kostengünstigen und leicht zu verabreichenden Carnitins als Supplement. Es werden allerdings noch weitere Studien benötigt, um Empfehlungen für Patienten konkretisieren zu können.
Menschen mit Erkrankungen von Leber oder Niere
Menschen mit Erkrankungen der Leber können oftmals nicht die notwendige Menge an Carnitin synthetisieren, während Patienten mit Nierenerkrankungen zwar grundsätzlich über ausreichende Mengen verfügen, jedoch zu viel Carnitin ausscheiden. Eine so entstandene Unterversorgung kann mit einer Supplementierung von Carnitin begegnet werden. Diese sollte nach tatsächlicher Feststellung eines reduzierten Blutspiegels mit dem Arzt abgestimmt werden.
Eine aktuelle Studie aus Japan konnte zum Beispiel zeigen, dass die Überlebensrate bei Patienten mit einer Zirrhose signifikant erhöht war, wenn sie zusätzlich zu ihrer Therapie Carnitin als Supplement erhielten. Das verbesserte Überleben lässt sich aus Beobachtungen vorheriger Studien erklären, die zeigten, dass Carnitin bei dieser Patientengruppe wirksam bei der Verbesserung von Muskelkrämpfen und den Ammoniakwerten im Blut ist. Außerdem reduziert es das Risiko einer hepatischen Enzephalopathie (Funktionsstörung des Gehirns durch unzureichende Entgiftungsfunktion der Leber). [9]
Höchstmengen und gesundheitliche Risiken
Da Carnitin sehr schnell über die Nieren ausgeschieden wird, wenn der Plasmaspiegel zu hoch ansteigt, ist eine Einnahme von mehr als 2 Gramm täglich aus kinetischer Sicht für einen Menschen ohne eine tatsächliche Unterversorgung nicht sinnvoll. Diese schnelle Ausscheidung dient allerdings auch als Absicherung gegen eine Überversorgung, die theoretisch nur dann in einen kritischen Bereich kommen könnte, wenn eine extreme Überdosierung und eine gleichzeitige Niereninsuffizienz vorliegen. Praktisch wird eine solche Kombination höchstwahrscheinlich nicht anzutreffen sein.
Die Verbraucherzentrale weist darauf hin, dass eine Dosierung von mehr als 4 Gramm Carnitin pro Tag zu Magen-Darm-Beschwerden führen kann. Außerdem erklärt sie, dass es zu einem unangenehmen Mundgeruch kommen kann und dass eine Einnahme am Abend möglicherweise das Einschlafen erschwert. [1]
Interessanterweise wirkt Carnitin auf bestimmte Darmbakterien, die es nur dann erreichen kann, wenn die Aufnahmemenge so groß ist, dass nicht alles im Dünndarm resorbiert werden kann. Diese Bakterien bilden dann größere Mengen von Trimethylamin-N-oxid (TMAO), das kardiovaskuläre Erkrankungen begünstigt und das Risiko für eine Arteriosklerose und einen daraus folgenden Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöht. Wissenschaftler diskutieren, ob dieser Weg auch das erhöhte Risiko bei Menschen beeinflusst, die sehr große Mengen von rotem Fleisch verzehren und auch dadurch sehr viel Carnitin mit ihrer Nahrung aufnehmen, das die Darmbakterien erreichen kann. [10]
Auch aus diesem Grunde hat die EFSA sich für eine Einnahme von maximal 2 g L-Carnitin pro Tag ausgesprochen. Diese Menge sei nach Einschätzung der Experten sicher und ohne erwartbare Nebenwirkungen.
Fazit mit Vor- und Nachteilen von L-Carnitin
L-Carnitin spielt eine bedeutende Rolle im Energiestoffwechsel und wird von gesunden Menschen in bedarfsdeckenden Mengen selbst produziert. Eine zusätzliche Aufnahme über die Nahrung dient als Absicherung der verfügbaren Menge. Da in pflanzlichen Lebensmitteln nur sehr geringe Mengen Carnitin vorkommen, nehmen Menschen, die auf tierische Lebensmittel verzichten, deutlich weniger davon mit der Nahrung auf. Dies ist durch die Eigensynthese jedoch unproblematisch. Wichtig bleibt hier die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit essentiellen Aminosäuren, Vitamin B6, Vitamin C, Niacin und Eisen.
Obwohl L-Carnitin als „Fatburner“ oder „zur Leistungssteigerung“ beworben wird, bringt eine Supplementierung über den normalen Bedarf hinaus für einen gesunden Menschen keine wissenschaftlich belegten Vorteile, die diese Versprechen halten können. Das nicht benötigte Carnitin wird rasch über die Nieren ausgeschieden und verlässt den Körper ungenutzt. Aus diesem Grunde sind Dosierungen bis zu 2 Gramm täglich, auch wenn sie oftmals ohne Wirkung bleiben, immerhin auch frei von Nebenwirkungen. Größere Mengen können zu Magen-Darm-Beschwerden führen und langfristig möglicherweise das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen. Dennoch können Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen (z. B. Diabetes oder Krebs) von einem Carnitin-Supplement profitieren, wenn durch diese Erkrankung eine Unterversorgung entstanden ist, die es gilt, zu beheben. Ein solcher Nutzen ist noch Gegenstand aktueller Forschung, sodass bisher keine klare Pauschalempfehlung ausgesprochen werden kann. Bei Unklarheit hilft eine Bestimmung des Carnitinspiegels im Blut und eine Abklärung über eine mögliche Supplementierung mit dem behandelnden Arzt.
Quellen
[1] Verbraucherzentrale: Ohne L-Carnitin keine Fettverbrennung? Stand: 10.9.2021
[2] Talenezhad et al. (2020) Effects of l-carnitine supplementation on weight loss and body composition: A systematic review and meta-analysis of 37 randomized controlled clinical trials with dose-response analysis. Clin Nutr ESPEN. 2020 Jun;37:9-23
[3] Brass (2000) Supplemental carnitine and exercise. Am J Clin Nutr. 2000 Aug;72(2 Suppl):618S-23S
[4] Peeling et al. (2018) Evidence-Based Supplements for the Enhancement of Athletic Performance. Int J Sport Nutr Exerc Metab. 2018 Mar 1;28(2):178-187
[5] Bene et al. (2018) Role of carnitine and its derivatives in the development and management of type 2 diabetes. Nutrition & Diabetes volume 8, Article number: 8
[6] Wang et al. (2021) Quantitative efficacy of L-carnitine supplementation on glycemic control in type 2 diabetes mellitus patients. Expert Rev Clin Pharmacol. 2021 Jul;14(7):919-926
[7] Wey (2015) L-Carnitin − Porträt einer Aminosäure. Zeitschrift für Orthomolekulare Medizin 2015; 2(03): 19-22
[8] Kraft et al. (2012) L-Carnitine-supplementation in advanced pancreatic cancer (CARPAN)–a randomized multicentre trial. Nutr J. 2012 Jul 23;11:52
[9] Miwa et al. (2022) Survival benefit of l-carnitine supplementation in patients with cirrhosis. JPEN J Parenter Enteral Nutr. 2022 May 5
[10] Koeth et al. (2013) Intestinal microbiota metabolism of L-carnitine, a nutrient in red meat, promotes atherosclerosis. Nat Med. 2013 May;19(5):576-85