Leucin gehört zu den verzweigtkettigen Aminosäuren und steckt in vielen eiweißreichen Lebensmitteln. Diese besondere Aminosäure spielt eine wichtige Rolle beim Muskelaufbau und wird deshalb oft als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Doch was kann Leucin wirklich? Dieser Artikel untersucht die wissenschaftlichen Fakten hinter dem Hype und zeigt, wann eine Einnahme sinnvoll sein kann - und wann nicht.
Was ist Leucin genau?
Leucin ist eine essenzielle Aminosäure, die der Körper nicht selbst herstellen kann. Sie gehört zusammen mit Isoleucin und Valin zu den verzweigtkettigen Aminosäuren (auf Englisch: Branched-Chain Amino Acids oder BCAA). Der Name „verzweigt“ kommt von der besonderen chemischen Struktur dieser Aminosäuren - sie haben eine Art Seitenkette, die wie ein Ast vom Hauptstamm abzweigt.
Als Baustein von Proteinen findet sich Leucin in fast allen Eiweißen des Körpers. Besonders viel davon steckt in den Muskeln. Etwa 14 bis 18 Prozent der Aminosäuren im Muskelgewebe sind Leucin [1]. Das macht diese Aminosäure zu einem wichtigen Spieler beim Muskelerhalt und -aufbau.
Die chemische Formel von Leucin lautet C₆H₁₃NO₂. Mit einem Molekulargewicht von 131,17 Gramm pro Mol ist es eine mittelgroße Aminosäure. Leucin löst sich gut in Wasser, schmeckt leicht bitter und hat keinen besonderen Geruch. Diese Eigenschaften machen es einfach, Leucin als Pulver oder in Kapseln zu verarbeiten.
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Wie wirkt Leucin im Körper?
Die Wirkung von Leucin im Körper ist komplex und betrifft verschiedene Stoffwechselwege. Der wichtigste Mechanismus läuft über ein Protein namens mTOR (mechanistic Target of Rapamycin). Dieses Protein funktioniert wie ein Hauptschalter für das Zellwachstum. Wenn Leucin an mTOR bindet, gibt es das Signal: „Baue neue Proteine!“ [2].
Der mTOR-Signalweg erklärt
mTOR ist ein Enzym, das in jeder Zelle vorkommt. Es überwacht ständig, ob genug Nährstoffe und Energie vorhanden sind. Leucin wirkt dabei wie ein Schlüssel, der mTOR aktiviert. Diese Aktivierung löst eine Kette von Reaktionen aus:
Zuerst phosphoryliert mTOR ein Protein namens S6K1. Das bedeutet, es hängt eine Phosphatgruppe dran - wie ein kleiner chemischer Schalter. Aktiviertes S6K1 schaltet dann die Proteinsynthese an. Gleichzeitig hemmt mTOR ein anderes Protein (4E-BP1), das normalerweise die Proteinherstellung bremst [3].
Diese doppelte Wirkung - Gas geben und Bremse lösen - macht Leucin so effektiv für den Muskelaufbau. Studien zeigen, dass schon 2,5 Gramm Leucin ausreichen, um die Proteinsynthese um etwa 50 Prozent zu steigern [4]. Allerdings hält dieser Effekt nur etwa zwei bis drei Stunden an.
Weitere Stoffwechselwirkungen
Neben der mTOR-Aktivierung beeinflusst Leucin auch andere Stoffwechselwege. Es hemmt zum Beispiel den Proteinabbau in den Muskeln. Das geschieht über die Blockade von Enzymen, die normalerweise Muskelproteine zerlegen. Dieser schützende Effekt ist besonders wichtig bei Diäten oder im Alter [5].
Leucin spielt auch eine Rolle im Energiestoffwechsel. Bei Energiemangel kann der Körper Leucin zu Acetyl-CoA abbauen. Dieser Stoff fließt dann in den Citratzyklus ein - die zentrale Drehscheibe der Energiegewinnung in den Zellen. Etwa 5 bis 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs können aus dem Abbau von verzweigtkettigen Aminosäuren stammen [6].
Ein weiterer interessanter Effekt: Leucin beeinflusst die Insulinausschüttung. Es stimuliert die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse, mehr Insulin freizusetzen. Das kann den Blutzuckerspiegel senken und die Nährstoffaufnahme in die Zellen verbessern [7]. Dieser Effekt ist aber zweischneidig - bei Menschen mit Insulinresistenz kann zu viel Leucin problematisch sein.
Leucin in der Nahrung
Leucin kommt in vielen natürlichen Lebensmitteln vor, besonders in eiweißreichen Produkten. Die folgende Tabelle zeigt den Leucingehalt verschiedener Lebensmittel:
| Lebensmittel | Leucingehalt (mg/100g) | Portion | Leucin pro Portion (mg) |
|---|---|---|---|
| Parmesan | 3452 | 30g | 1036 |
| Rindfleisch (mager) | 2858 | 150g | 4287 |
| Hähnchenbrust | 2652 | 150g | 3978 |
| Thunfisch | 2295 | 150g | 3443 |
| Erdnüsse | 1672 | 30g | 502 |
| Linsen (gekocht) | 654 | 200g | 1308 |
| Eier | 1088 | 100g (2 Eier) | 1088 |
| Milch (3,5% Fett) | 322 | 250ml | 805 |
| Haferflocken | 980 | 50g | 490 |
| Reis (gekocht) | 191 | 150g | 287 |
Wie die Tabelle zeigt, enthalten tierische Produkte besonders viel Leucin. Parmesan führt die Liste mit 3452 mg pro 100 Gramm an. Eine normale Portion Rindfleisch (150g) liefert bereits 4287 mg Leucin - mehr als die meisten Menschen pro Tag brauchen.
Pflanzliche Lebensmittel enthalten weniger Leucin, können aber in größeren Mengen ebenfalls zur Versorgung beitragen. Linsen liefern pro Portion immerhin 1308 mg. Wer sich vegan ernährt, muss verschiedene Proteinquellen kombinieren, um genug Leucin aufzunehmen.
Die Bioverfügbarkeit - also wie gut der Körper das Leucin aufnehmen kann - unterscheidet sich je nach Lebensmittel. Aus tierischen Produkten nimmt der Körper etwa 90 bis 95 Prozent des enthaltenen Leucins auf. Bei pflanzlichen Lebensmitteln liegt die Aufnahme bei etwa 80 bis 85 Prozent [8]. Ballaststoffe und andere Pflanzenstoffe können die Aufnahme etwas bremsen.
Leucin als Nahrungsergänzungsmittel
Leucin wird als Nahrungsergänzungsmittel in verschiedenen Formen angeboten. Am häufigsten findet man reines L-Leucin-Pulver oder Kapseln. Auch in BCAA-Mischungen und Proteinpulvern ist oft extra Leucin zugesetzt. Die Preise schwanken stark - von 15 bis 50 Euro pro Kilogramm.
Verschiedene Darreichungsformen
Leucin-Pulver lässt sich einfach in Wasser oder Shakes einrühren. Es schmeckt leicht bitter, was manche Menschen störend finden. Kapseln umgehen dieses Problem, sind aber teurer. Eine Kapsel enthält meist 500 bis 1000 mg Leucin. Für eine wirksame Dosis braucht man also mehrere Kapseln.
BCAA-Produkte enthalten Leucin zusammen mit Isoleucin und Valin. Das typische Verhältnis ist 2:1:1 oder 4:1:1 (Leucin:Isoleucin:Valin). Manche Hersteller bieten sogar 8:1:1-Mischungen an. Je höher der Leucin-Anteil, desto stärker die Wirkung auf die Proteinsynthese [9].
Einige Proteinpulver werben mit „zugesetztem Leucin“. Hier ist Vorsicht geboten: Molkenprotein enthält von Natur aus etwa 10 bis 12 Prozent Leucin. Extra Leucin macht das Produkt nicht automatisch besser, erhöht aber den Preis.
Qualitätsunterschiede
Die Qualität von Leucin-Supplementen variiert erheblich. Hochwertiges Leucin wird durch Fermentation hergestellt. Dabei produzieren Bakterien die Aminosäure aus pflanzlichen Rohstoffen. Dieses Verfahren liefert reines L-Leucin ohne Verunreinigungen.
Billiges Leucin stammt manchmal aus der Hydrolyse von Haaren oder Federn. Diese Methode ist zwar erlaubt, kann aber Spuren von Schwermetallen oder anderen unerwünschten Stoffen hinterlassen. Seriöse Hersteller lassen ihre Produkte von unabhängigen Laboren testen und veröffentlichen die Analysezertifikate [10].
Ein gutes Leucin-Supplement sollte mindestens 99 Prozent reines L-Leucin enthalten. Der Rest besteht aus harmlosen Begleitstoffen wie Feuchtigkeit. Füllstoffe, Farbstoffe oder künstliche Aromen haben in einem reinen Leucin-Produkt nichts zu suchen.
Dosierung und Einnahme
Die richtige Dosierung von Leucin hängt vom Ziel und den individuellen Umständen ab. Für den Muskelaufbau empfehlen Studien meist 2,5 bis 5 Gramm pro Einnahme [11]. Diese Menge reicht aus, um die Proteinsynthese maximal anzuregen. Höhere Dosen bringen keinen zusätzlichen Nutzen.
Optimale Einnahmezeitpunkte
Der Zeitpunkt der Einnahme spielt eine wichtige Rolle. Leucin wirkt am besten, wenn es zusammen mit anderen Aminosäuren aufgenommen wird. Deshalb macht es Sinn, Leucin zu den Mahlzeiten oder direkt nach dem Training einzunehmen.
Viele Sportler nehmen Leucin direkt nach dem Training. In dieser Phase sind die Muskeln besonders empfänglich für Nährstoffe. Eine Kombination aus 3 Gramm Leucin und 20 bis 25 Gramm Protein (zum Beispiel aus Molke) steigert die Proteinsynthese optimal [12].
Ältere Menschen profitieren besonders von Leucin zu den Mahlzeiten. Mit dem Alter wird die Muskulatur weniger empfindlich für anabole Reize. Dieser Effekt heißt „anabole Resistenz“. Zusätzliches Leucin (2 bis 3 Gramm pro Mahlzeit) kann diese Resistenz teilweise überwinden [13].
Tagesdosis und Verteilung
Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 10 bis 15 Gramm, verteilt auf drei bis vier Einzeldosen. Diese Verteilung ist wichtig, weil der Leucin-Effekt nur kurz anhält. Nach etwa drei Stunden normalisiert sich die Proteinsynthese wieder.
| Personengruppe | Einzeldosis | Tagesdosis | Einnahmezeitpunkte |
|---|---|---|---|
| Kraftsportler | 3-5g | 9-15g | Nach dem Training + zu den Mahlzeiten |
| Ausdauersportler | 2-3g | 6-9g | Vor/nach dem Training |
| Ältere Menschen (>65) | 2,5-3g | 7,5-9g | Zu jeder Hauptmahlzeit |
| Diät/Kaloriendefizit | 3-4g | 9-12g | Zwischen den Mahlzeiten |



