Leucin gehört zu den verzweigtkettigen Aminosäuren und steckt in vielen eiweißreichen Lebensmitteln. Diese besondere Aminosäure spielt eine wichtige Rolle beim Muskelaufbau und wird deshalb oft als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Doch was kann Leucin wirklich? Dieser Artikel untersucht die wissenschaftlichen Fakten hinter dem Hype und zeigt, wann eine Einnahme sinnvoll sein kann – und wann nicht.
Was ist Leucin genau?
Leucin ist eine essenzielle Aminosäure, die der Körper nicht selbst herstellen kann. Sie gehört zusammen mit Isoleucin und Valin zu den verzweigtkettigen Aminosäuren (auf Englisch: Branched-Chain Amino Acids oder BCAA). Der Name „verzweigt“ kommt von der besonderen chemischen Struktur dieser Aminosäuren – sie haben eine Art Seitenkette, die wie ein Ast vom Hauptstamm abzweigt.
Als Baustein von Proteinen findet sich Leucin in fast allen Eiweißen des Körpers. Besonders viel davon steckt in den Muskeln. Etwa 14 bis 18 Prozent der Aminosäuren im Muskelgewebe sind Leucin [1]. Das macht diese Aminosäure zu einem wichtigen Spieler beim Muskelerhalt und -aufbau.
Die chemische Formel von Leucin lautet C₆H₁₃NO₂. Mit einem Molekulargewicht von 131,17 Gramm pro Mol ist es eine mittelgroße Aminosäure. Leucin löst sich gut in Wasser, schmeckt leicht bitter und hat keinen besonderen Geruch. Diese Eigenschaften machen es einfach, Leucin als Pulver oder in Kapseln zu verarbeiten.
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Wie wirkt Leucin im Körper?
Die Wirkung von Leucin im Körper ist komplex und betrifft verschiedene Stoffwechselwege. Der wichtigste Mechanismus läuft über ein Protein namens mTOR (mechanistic Target of Rapamycin). Dieses Protein funktioniert wie ein Hauptschalter für das Zellwachstum. Wenn Leucin an mTOR bindet, gibt es das Signal: „Baue neue Proteine!“ [2].
Der mTOR-Signalweg erklärt
mTOR ist ein Enzym, das in jeder Zelle vorkommt. Es überwacht ständig, ob genug Nährstoffe und Energie vorhanden sind. Leucin wirkt dabei wie ein Schlüssel, der mTOR aktiviert. Diese Aktivierung löst eine Kette von Reaktionen aus:
Zuerst phosphoryliert mTOR ein Protein namens S6K1. Das bedeutet, es hängt eine Phosphatgruppe dran – wie ein kleiner chemischer Schalter. Aktiviertes S6K1 schaltet dann die Proteinsynthese an. Gleichzeitig hemmt mTOR ein anderes Protein (4E-BP1), das normalerweise die Proteinherstellung bremst [3].
Diese doppelte Wirkung – Gas geben und Bremse lösen – macht Leucin so effektiv für den Muskelaufbau. Studien zeigen, dass schon 2,5 Gramm Leucin ausreichen, um die Proteinsynthese um etwa 50 Prozent zu steigern [4]. Allerdings hält dieser Effekt nur etwa zwei bis drei Stunden an.
Weitere Stoffwechselwirkungen
Neben der mTOR-Aktivierung beeinflusst Leucin auch andere Stoffwechselwege. Es hemmt zum Beispiel den Proteinabbau in den Muskeln. Das geschieht über die Blockade von Enzymen, die normalerweise Muskelproteine zerlegen. Dieser schützende Effekt ist besonders wichtig bei Diäten oder im Alter [5].
Leucin spielt auch eine Rolle im Energiestoffwechsel. Bei Energiemangel kann der Körper Leucin zu Acetyl-CoA abbauen. Dieser Stoff fließt dann in den Citratzyklus ein – die zentrale Drehscheibe der Energiegewinnung in den Zellen. Etwa 5 bis 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs können aus dem Abbau von verzweigtkettigen Aminosäuren stammen [6].
Ein weiterer interessanter Effekt: Leucin beeinflusst die Insulinausschüttung. Es stimuliert die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse, mehr Insulin freizusetzen. Das kann den Blutzuckerspiegel senken und die Nährstoffaufnahme in die Zellen verbessern [7]. Dieser Effekt ist aber zweischneidig – bei Menschen mit Insulinresistenz kann zu viel Leucin problematisch sein.
Leucin in der Nahrung
Leucin kommt in vielen natürlichen Lebensmitteln vor, besonders in eiweißreichen Produkten. Die folgende Tabelle zeigt den Leucingehalt verschiedener Lebensmittel:
Lebensmittel | Leucingehalt (mg/100g) | Portion | Leucin pro Portion (mg) |
---|---|---|---|
Parmesan | 3452 | 30g | 1036 |
Rindfleisch (mager) | 2858 | 150g | 4287 |
Hähnchenbrust | 2652 | 150g | 3978 |
Thunfisch | 2295 | 150g | 3443 |
Erdnüsse | 1672 | 30g | 502 |
Linsen (gekocht) | 654 | 200g | 1308 |
Eier | 1088 | 100g (2 Eier) | 1088 |
Milch (3,5% Fett) | 322 | 250ml | 805 |
Haferflocken | 980 | 50g | 490 |
Reis (gekocht) | 191 | 150g | 287 |
Wie die Tabelle zeigt, enthalten tierische Produkte besonders viel Leucin. Parmesan führt die Liste mit 3452 mg pro 100 Gramm an. Eine normale Portion Rindfleisch (150g) liefert bereits 4287 mg Leucin – mehr als die meisten Menschen pro Tag brauchen.
Pflanzliche Lebensmittel enthalten weniger Leucin, können aber in größeren Mengen ebenfalls zur Versorgung beitragen. Linsen liefern pro Portion immerhin 1308 mg. Wer sich vegan ernährt, muss verschiedene Proteinquellen kombinieren, um genug Leucin aufzunehmen.
Die Bioverfügbarkeit – also wie gut der Körper das Leucin aufnehmen kann – unterscheidet sich je nach Lebensmittel. Aus tierischen Produkten nimmt der Körper etwa 90 bis 95 Prozent des enthaltenen Leucins auf. Bei pflanzlichen Lebensmitteln liegt die Aufnahme bei etwa 80 bis 85 Prozent [8]. Ballaststoffe und andere Pflanzenstoffe können die Aufnahme etwas bremsen.
Leucin als Nahrungsergänzungsmittel
Leucin wird als Nahrungsergänzungsmittel in verschiedenen Formen angeboten. Am häufigsten findet man reines L-Leucin-Pulver oder Kapseln. Auch in BCAA-Mischungen und Proteinpulvern ist oft extra Leucin zugesetzt. Die Preise schwanken stark – von 15 bis 50 Euro pro Kilogramm.
Verschiedene Darreichungsformen
Leucin-Pulver lässt sich einfach in Wasser oder Shakes einrühren. Es schmeckt leicht bitter, was manche Menschen störend finden. Kapseln umgehen dieses Problem, sind aber teurer. Eine Kapsel enthält meist 500 bis 1000 mg Leucin. Für eine wirksame Dosis braucht man also mehrere Kapseln.
BCAA-Produkte enthalten Leucin zusammen mit Isoleucin und Valin. Das typische Verhältnis ist 2:1:1 oder 4:1:1 (Leucin:Isoleucin:Valin). Manche Hersteller bieten sogar 8:1:1-Mischungen an. Je höher der Leucin-Anteil, desto stärker die Wirkung auf die Proteinsynthese [9].
Einige Proteinpulver werben mit „zugesetztem Leucin“. Hier ist Vorsicht geboten: Molkenprotein enthält von Natur aus etwa 10 bis 12 Prozent Leucin. Extra Leucin macht das Produkt nicht automatisch besser, erhöht aber den Preis.
Qualitätsunterschiede
Die Qualität von Leucin-Supplementen variiert erheblich. Hochwertiges Leucin wird durch Fermentation hergestellt. Dabei produzieren Bakterien die Aminosäure aus pflanzlichen Rohstoffen. Dieses Verfahren liefert reines L-Leucin ohne Verunreinigungen.
Billiges Leucin stammt manchmal aus der Hydrolyse von Haaren oder Federn. Diese Methode ist zwar erlaubt, kann aber Spuren von Schwermetallen oder anderen unerwünschten Stoffen hinterlassen. Seriöse Hersteller lassen ihre Produkte von unabhängigen Laboren testen und veröffentlichen die Analysezertifikate [10].
Ein gutes Leucin-Supplement sollte mindestens 99 Prozent reines L-Leucin enthalten. Der Rest besteht aus harmlosen Begleitstoffen wie Feuchtigkeit. Füllstoffe, Farbstoffe oder künstliche Aromen haben in einem reinen Leucin-Produkt nichts zu suchen.
Dosierung und Einnahme
Die richtige Dosierung von Leucin hängt vom Ziel und den individuellen Umständen ab. Für den Muskelaufbau empfehlen Studien meist 2,5 bis 5 Gramm pro Einnahme [11]. Diese Menge reicht aus, um die Proteinsynthese maximal anzuregen. Höhere Dosen bringen keinen zusätzlichen Nutzen.
Optimale Einnahmezeitpunkte
Der Zeitpunkt der Einnahme spielt eine wichtige Rolle. Leucin wirkt am besten, wenn es zusammen mit anderen Aminosäuren aufgenommen wird. Deshalb macht es Sinn, Leucin zu den Mahlzeiten oder direkt nach dem Training einzunehmen.
Viele Sportler nehmen Leucin direkt nach dem Training. In dieser Phase sind die Muskeln besonders empfänglich für Nährstoffe. Eine Kombination aus 3 Gramm Leucin und 20 bis 25 Gramm Protein (zum Beispiel aus Molke) steigert die Proteinsynthese optimal [12].
Ältere Menschen profitieren besonders von Leucin zu den Mahlzeiten. Mit dem Alter wird die Muskulatur weniger empfindlich für anabole Reize. Dieser Effekt heißt „anabole Resistenz“. Zusätzliches Leucin (2 bis 3 Gramm pro Mahlzeit) kann diese Resistenz teilweise überwinden [13].
Tagesdosis und Verteilung
Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 10 bis 15 Gramm, verteilt auf drei bis vier Einzeldosen. Diese Verteilung ist wichtig, weil der Leucin-Effekt nur kurz anhält. Nach etwa drei Stunden normalisiert sich die Proteinsynthese wieder.
Personengruppe | Einzeldosis | Tagesdosis | Einnahmezeitpunkte |
---|---|---|---|
Kraftsportler | 3-5g | 9-15g | Nach dem Training + zu den Mahlzeiten |
Ausdauersportler | 2-3g | 6-9g | Vor/nach dem Training |
Ältere Menschen (>65) | 2,5-3g | 7,5-9g | Zu jeder Hauptmahlzeit |
Diät/Kaloriendefizit | 3-4g | 9-12g | Zwischen den Mahlzeiten |
Menschen, die bereits viel Protein essen (über 1,6 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht), brauchen meist kein zusätzliches Leucin. Eine proteinreiche Ernährung liefert bereits 8 bis 12 Gramm Leucin pro Tag [14].
Wissenschaftliche Studienlage
Die Forschung zu Leucin ist umfangreich. Über 5000 wissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich mit dieser Aminosäure. Die meisten Studien untersuchen die Wirkung auf Muskelaufbau und Proteinsynthese. Die Ergebnisse sind gemischt – nicht alle Studien zeigen positive Effekte.
Studien zum Muskelaufbau
Eine wichtige Studie von Churchward-Venne und Kollegen (2014) untersuchte 24 junge Männer. Die Teilnehmer erhielten nach dem Krafttraining entweder 25 Gramm Molkenprotein oder 6,25 Gramm Molkenprotein plus 5 Gramm Leucin. Beide Gruppen zeigten eine gleich starke Steigerung der Muskelproteinsynthese [15].
Diese Studie zeigt: Leucin kann eine niedrige Proteinmenge „aufwerten“. Statt 25 Gramm Protein reichen 6,25 Gramm plus Leucin für den gleichen Effekt. Das ist interessant für Menschen, die wenig Protein vertragen oder sich pflanzlich ernähren.
Eine Langzeitstudie von Ispoglou et al. (2016) begleitete 26 untrainierte Männer über 12 Wochen. Die Leucin-Gruppe (4 Gramm täglich) baute nicht mehr Muskeln auf als die Placebo-Gruppe. Beide Gruppen trainierten dreimal pro Woche und aßen ausreichend Protein [16].
Leucin bei älteren Menschen
Bei älteren Menschen sieht die Studienlage besser aus. Mehrere Untersuchungen zeigen, dass Leucin dem altersbedingten Muskelabbau entgegenwirken kann. Eine Metaanalyse von Xu et al. (2015) fasste 9 Studien mit insgesamt 422 Teilnehmern über 65 Jahre zusammen. Die Leucin-Supplementierung (im Schnitt 4,8 Gramm täglich) verbesserte die Muskelkraft und -masse signifikant [17].
Besonders wirksam scheint die Kombination aus Leucin und Vitamin D zu sein. Eine Studie mit 60 sarkopenen älteren Menschen (starker Muskelschwund) zeigte: 3 Gramm Leucin plus 800 IE Vitamin D täglich steigerten die Muskelkraft um 17 Prozent innerhalb von 13 Wochen. Die Kontrollgruppe ohne Supplements verbesserte sich nur um 5 Prozent [18].
Leucin in der Rehabilitation
Interessante Ergebnisse gibt es auch aus der Rehabilitation. Nach Operationen oder längerer Bettruhe baut der Körper schnell Muskeln ab. Leucin kann diesen Abbau bremsen. Eine Studie mit 19 Patienten nach Hüftoperationen zeigte: 3 mal 4 Gramm Leucin täglich reduzierten den Muskelverlust um 43 Prozent verglichen mit Placebo [19].
Auch bei Krebspatienten wurde Leucin untersucht. Viele Krebserkrankungen führen zu starkem Gewichts- und Muskelverlust (Kachexie). Eine kleine Studie mit 25 Krebspatienten fand positive Effekte: 6 Gramm Leucin täglich verbesserten die Muskelkraft und Lebensqualität. Allerdings sind größere Studien nötig, um diese Ergebnisse zu bestätigen [20].
Mögliche Nebenwirkungen und Risiken
Leucin gilt allgemein als sicher, kann aber in hohen Dosen Nebenwirkungen verursachen. Die häufigsten Beschwerden sind Magen-Darm-Probleme wie Übelkeit, Blähungen oder Durchfall. Diese treten meist bei Dosen über 10 Gramm auf einmal auf.
Stoffwechselstörungen
Bei Menschen mit bestimmten Stoffwechselstörungen kann Leucin gefährlich sein. Die Ahornsirupkrankheit ist eine seltene Erbkrankheit, bei der der Körper verzweigtkettige Aminosäuren nicht abbauen kann. Betroffene müssen eine streng leucinarme Diät einhalten. Schon kleine Mengen können zu schweren neurologischen Schäden führen [21].
Einfluss auf den Blutzucker
Leucin beeinflusst den Insulinstoffwechsel. Bei gesunden Menschen ist das unproblematisch. Menschen mit Diabetes sollten aber vorsichtig sein. Hohe Leucin-Dosen können den Blutzucker senken und die Wirkung von Diabetes-Medikamenten verstärken. Eine Anpassung der Medikation kann nötig sein [22].
Paradoxerweise kann chronisch hoher Leucin-Konsum auch eine Insulinresistenz fördern. Tierversuche zeigen, dass dauerhaft erhöhte Leucin-Spiegel die Insulin-Signalwege stören können. Ob das auch beim Menschen relevant ist, ist noch unklar [23].
Wechselwirkungen mit Medikamenten
Leucin kann mit einigen Medikamenten wechselwirken. Bei der Einnahme von Levodopa (Parkinson-Medikament) sollte man vorsichtig sein. Leucin und andere Aminosäuren konkurrieren mit Levodopa um die Aufnahme im Darm. Das kann die Wirkung des Medikaments abschwächen [24].
Auch bei der Einnahme von MAO-Hemmern (bestimmte Antidepressiva) ist Vorsicht geboten. Diese Medikamente blockieren den Abbau von Aminosäuren. In Kombination mit hohen Leucin-Dosen könnte das zu einem gefährlichen Anstieg von Stoffwechselprodukten führen.
Langzeitrisiken
Die Langzeitfolgen hoher Leucin-Dosen sind noch nicht vollständig erforscht. Einige Studien deuten auf mögliche negative Effekte hin. Eine Untersuchung an Mäusen zeigte, dass chronisch hohe Leucin-Zufuhr die Lebenserwartung verkürzen kann. Der Mechanismus: Daueraktivierung von mTOR beschleunigt möglicherweise Alterungsprozesse [25].
Beim Menschen gibt es solche Daten noch nicht. Die meisten Studien laufen nur über wenige Wochen oder Monate. Experten empfehlen deshalb, Leucin-Supplements nicht dauerhaft in hohen Dosen einzunehmen. Pausen von mehreren Wochen können sinnvoll sein.
Leucin im Vergleich zu anderen Aminosäuren
Wie schneidet Leucin im Vergleich zu anderen Aminosäuren ab? Diese Frage ist wichtig für die Bewertung des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Die folgende Tabelle vergleicht wichtige Eigenschaften:
Aminosäure | mTOR-Aktivierung | Muskelproteinsynthese | Preis pro kg | Nebenwirkungen |
---|---|---|---|---|
Leucin | Sehr stark | +50-70% | 25-40€ | Gering |
Isoleucin | Mittel | +20-30% | 30-45€ | Sehr gering |
Valin | Schwach | +10-15% | 20-35€ | Sehr gering |
HMB* | Mittel | +30-40% | 80-120€ | Keine bekannt |
Arginin | Keine | +5-10% | 15-25€ | Magen-Darm |
*HMB = Hydroxymethylbutyrat, ein Stoffwechselprodukt von Leucin
Leucin ist eindeutig die stärkste Aminosäure für die Aktivierung der Proteinsynthese. Die anderen BCAAs (Isoleucin und Valin) haben schwächere Effekte. Interessant ist HMB – diese Substanz entsteht, wenn der Körper Leucin abbaut. Etwa 5 Prozent des aufgenommenen Leucins werden zu HMB umgewandelt [26].
HMB wirkt ähnlich wie Leucin, ist aber viel teurer. Um 3 Gramm HMB zu produzieren, müsste man theoretisch 60 Gramm Leucin einnehmen. Das erklärt, warum manche Sportler direkt HMB supplementieren. Die Studienlage zu HMB ist aber umstritten.
Leucin für spezielle Personengruppen
Verschiedene Personengruppen können unterschiedlich von einer Leucin-Supplementierung profitieren. Die individuelle Situation bestimmt, ob zusätzliches Leucin sinnvoll ist oder nicht.
Vegetarier und Veganer
Menschen, die sich pflanzlich ernähren, nehmen oft weniger Leucin auf als Mischköstler. Pflanzliche Proteine enthalten im Schnitt nur 6 bis 8 Prozent Leucin, tierische Proteine dagegen 8 bis 11 Prozent. Ein Veganer, der 80 Gramm Protein täglich isst, kommt auf etwa 5 bis 6 Gramm Leucin. Das liegt unter der optimalen Menge für Sportler [27].
Besonders kritisch wird es bei kalorienreduzierten veganen Diäten. Hier kann eine Leucin-Ergänzung den Muskelerhalt unterstützen. Eine Studie mit 40 veganen Sportlern zeigte: 4 Gramm Leucin täglich verbesserten die Trainingsanpassung und reduzierten Muskelkater [28].
Senioren über 65 Jahre
Mit dem Alter verlieren Menschen natürlicherweise Muskelmasse – etwa 1 bis 2 Prozent pro Jahr ab dem 50. Lebensjahr. Dieser Prozess (Sarkopenie) beschleunigt sich ab 65 Jahren. Leucin kann hier gegensteuern, weil es die reduzierte Ansprechbarkeit der Muskeln auf Proteine teilweise ausgleicht.
Eine große Beobachtungsstudie mit 2425 älteren Menschen fand einen klaren Zusammenhang: Teilnehmer mit der höchsten Leucin-Aufnahme (über 8 Gramm täglich) hatten 30 Prozent mehr Muskelkraft als jene mit niedriger Aufnahme (unter 5 Gramm). Die Studie kann aber keine Ursache-Wirkung-Beziehung beweisen [29].
Patienten nach Operationen
Nach größeren Operationen ist der Proteinbedarf stark erhöht. Gleichzeitig essen viele Patienten weniger als normal. Diese Kombination führt zu rapidem Muskelabbau. Studien zeigen, dass 10 bis 12 Gramm Leucin täglich (verteilt auf drei Dosen) den Muskelverlust um 30 bis 50 Prozent reduzieren können [30].
Besonders nach orthopädischen Eingriffen (Hüfte, Knie) ist Leucin hilfreich. Die Patienten können schneller mobilisiert werden und erreichen ihre Alltagsfähigkeiten früher wieder. Eine Kosten-Nutzen-Analyse zeigte sogar, dass Leucin-Supplementierung die Krankenhauskosten senken kann – durch kürzere Liegezeiten [31].
Kritische Bewertung der Werbeversprechen
Die Supplement-Industrie bewirbt Leucin oft mit übertriebenen Versprechen. „Explosiver Muskelaufbau“, „Fettverbrennung auf Hochtouren“ oder „Anti-Aging-Wunder“ – solche Aussagen halten einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand.
„Leucin baut Muskeln auf“
Diese Aussage ist nur die halbe Wahrheit. Leucin regt die Muskelproteinsynthese an – das stimmt. Aber für tatsächlichen Muskelaufbau braucht es mehr: ausreichend Gesamtprotein, progressive Trainingsreize und genug Kalorien. Leucin allein baut keine Muskeln auf, es optimiert nur die Bedingungen dafür [32].
Studien zeigen klar: Bei Menschen, die bereits genug Protein essen (über 1,6 g/kg Körpergewicht) und regelmäßig trainieren, bringt zusätzliches Leucin kaum Vorteile. Eine Metaanalyse von 2018 untersuchte 11 Studien mit trainierten Sportlern. Das Ergebnis: Kein signifikanter Unterschied im Muskelaufbau zwischen Leucin- und Placebogruppen [33].
„Leucin verbrennt Fett“
Einige Hersteller behaupten, Leucin würde die Fettverbrennung ankurbeln. Die Studienlage dazu ist dünn. Zwar aktiviert Leucin mTOR, was den Energieverbrauch leicht erhöhen kann. Aber dieser Effekt ist minimal – etwa 20 bis 30 Kilokalorien pro Tag [34].
Eine Studie mit 38 übergewichtigen Frauen fand keinen Unterschied im Gewichtsverlust zwischen Leucin- und Kontrollgruppe nach 8 Wochen. Beide Gruppen machten die gleiche Diät und verloren etwa 4 Kilogramm. Die Körperzusammensetzung (Verhältnis Muskeln zu Fett) verbesserte sich in der Leucin-Gruppe minimal besser – aber der Unterschied war statistisch nicht bedeutsam [35].
„Leucin als Anti-Aging-Mittel“
Die Idee klingt verlockend: Leucin erhält Muskelmasse im Alter, also hält es jung. So einfach ist es nicht. Zwar kann Leucin dem altersbedingten Muskelabbau entgegenwirken. Aber gleichzeitig könnte die dauerhafte mTOR-Aktivierung Alterungsprozesse beschleunigen.
Studien an Tieren zeigen: Weniger mTOR-Aktivität (durch Kalorienrestriktion oder Rapamycin) verlängert die Lebensdauer. Chronisch hohe Leucin-Zufuhr könnte theoretisch den gegenteiligen Effekt haben. Beim Menschen fehlen Langzeitdaten zu diesem Thema [36].
Qualitätskriterien beim Kauf
Wer sich für ein Leucin-Supplement entscheidet, sollte auf Qualität achten. Der Markt ist unübersichtlich, und nicht alle Produkte halten, was sie versprechen. Diese Kriterien helfen bei der Auswahl:
Reinheit und Herstellungsverfahren
Hochwertiges Leucin wird durch Fermentation hergestellt. Dabei produzieren speziell gezüchtete Bakterien (meist Corynebacterium glutamicum) die Aminosäure aus Zucker oder Stärke. Dieses Verfahren liefert reines L-Leucin ohne D-Leucin-Verunreinigungen. D-Leucin kann der Körper nicht verwerten und es könnte sogar die Aufnahme von L-Leucin stören [37].
Gute Hersteller geben das Herstellungsverfahren an und liefern Analysezertifikate. Diese sollten folgende Werte zeigen:
- L-Leucin-Gehalt: mindestens 98,5 Prozent
- Schwermetalle: unter den gesetzlichen Grenzwerten
- Mikrobiologische Reinheit: keine pathogenen Keime
- Keine Lösungsmittelrückstände
Zusatzstoffe und Verunreinigungen
Reines Leucin-Pulver braucht keine Zusatzstoffe. Trennmittel wie Siliziumdioxid sind überflüssig, wenn das Pulver trocken gelagert wird. Bei Kapseln ist etwas Füllstoff normal – meist Cellulose oder Reismehl. Diese sind unbedenklich.
Vorsicht bei sehr günstigen Produkten aus Fernost. Unabhängige Tests fanden in einigen Proben erhöhte Schwermetallwerte oder Verunreinigungen mit anderen Aminosäuren. Ein Kilogramm Leucin für unter 20 Euro ist verdächtig günstig [38].
Preis-Leistungs-Verhältnis
Die Preise für Leucin variieren stark. Markenprodukte kosten oft das Doppelte von No-Name-Produkten bei gleicher Qualität. Ein fairer Preis liegt bei 25 bis 35 Euro pro Kilogramm für Pulver. Kapseln sind teurer – hier sind 40 bis 60 Euro pro Kilogramm normal.
Darreichungsform | Menge | Durchschnittspreis | Preis pro Gramm | Vor- und Nachteile |
---|---|---|---|---|
Pulver | 500g | 15-20€ | 0,03-0,04€ | + günstig, – bitterer Geschmack |
Kapseln (1000mg) | 300 Stück | 18-25€ | 0,06-0,08€ | + geschmacksneutral, – teurer |
Tabletten (2000mg) | 180 Stück | 22-30€ | 0,06-0,08€ | + hohe Dosis, – schwer zu schlucken |
BCAA-Mix (2:1:1) | 500g | 20-28€ | 0,08-0,11€* | + komplette BCAAs, – weniger Leucin |
*Preis pro Gramm Leucin (bei 50% Leucin-Anteil im BCAA-Mix)
Alternativen zu Leucin-Supplementen
Nicht jeder braucht oder möchte isoliertes Leucin einnehmen. Es gibt verschiedene Alternativen, die ähnliche Effekte haben können:
Vollständige Proteinquellen
Der einfachste Weg zu mehr Leucin führt über proteinreiche Lebensmittel. Ein Molkenprotein-Shake (30g Pulver) liefert etwa 3 Gramm Leucin plus alle anderen essenziellen Aminosäuren. Das ist oft effektiver als isoliertes Leucin, weil die anderen Aminosäuren als Bausteine für die Proteinsynthese nötig sind [39].
Besonders leucinreich sind:
- Molkenprotein-Isolat (12-13% Leucin)
- Casein (9-10% Leucin)
- Sojaprotein-Isolat (8-9% Leucin)
- Erbsenprotein (7-8% Leucin)
HMB als Alternative
HMB (β-Hydroxy-β-Methylbutyrat) ist ein Stoffwechselprodukt von Leucin. Der Körper wandelt etwa 5 Prozent des aufgenommenen Leucins in HMB um. Manche Studien zeigen, dass HMB besonders gut vor Muskelabbau schützt – besser als Leucin selbst [40].
Der Nachteil: HMB ist deutlich teurer als Leucin. Die empfohlene Dosis liegt bei 3 Gramm täglich, aufgeteilt in drei Einzeldosen. Bei Preisen von 80 bis 120 Euro pro Kilogramm kostet eine Monatsversorgung 7 bis 11 Euro. Leucin wäre mit 2 bis 3 Euro pro Monat günstiger.
Timing der Proteinzufuhr
Statt Supplements kann man auch das Timing der Mahlzeiten optimieren. Studien zeigen: 20 bis 30 Gramm hochwertiges Protein alle 3 bis 4 Stunden stimulieren die Muskelproteinsynthese optimal. Das entspricht etwa 2 bis 3 Gramm Leucin pro Mahlzeit – ganz ohne Supplements [41].
Ein Beispiel-Tagesplan:
- Frühstück: 3 Eier + Haferflocken (2,5g Leucin)
- Snack: Griechischer Joghurt (1,5g Leucin)
- Mittagessen: Hähnchenbrust + Reis (3,5g Leucin)
- Nach dem Training: Proteinshake (3g Leucin)
- Abendessen: Lachs + Gemüse (2,5g Leucin)
Diese Verteilung liefert 13 Gramm Leucin – mehr als die meisten Supplement-Protokolle.
Fazit: Wann macht Leucin Sinn?
Leucin ist zweifellos eine wichtige Aminosäure für den Muskelstoffwechsel. Die Forschung bestätigt seine Rolle als Schlüsselregulator der Proteinsynthese. Trotzdem ist eine Supplementierung nicht für jeden sinnvoll oder nötig.
Leucin-Supplemente können hilfreich sein für:
- Ältere Menschen mit beginnender Sarkopenie
- Veganer und Vegetarier mit niedrigem Proteinkonsum
- Patienten in der Rehabilitation nach Operationen oder Verletzungen
- Sportler in extremen Diätphasen
- Menschen mit sehr niedrigem Proteinkonsum (unter 0,8g/kg Körpergewicht)
Wenig Nutzen bringt Leucin bei:
- Sportlern mit ausreichender Proteinzufuhr (über 1,6g/kg)
- Jungen, gesunden Menschen ohne spezielle Bedürfnisse
- Personen, die bereits BCAA- oder EAA-Supplemente nehmen
- Menschen mit ausgewogener, proteinreicher Ernährung
Die Sicherheit von Leucin ist gut belegt. Nebenwirkungen treten selten und meist nur bei sehr hohen Dosen auf. Trotzdem sollten Menschen mit Stoffwechselerkrankungen, Diabetes oder unter Medikation vorsichtig sein und im Zweifel einen Arzt konsultieren.
Der Preis von 25 bis 40 Euro pro Kilogramm macht Leucin zu einem relativ günstigen Supplement. Ob sich die Investition lohnt, hängt von der individuellen Situation ab. Für die meisten Menschen ist eine proteinreiche, ausgewogene Ernährung der bessere und natürlichere Weg zu optimaler Leucin-Versorgung.
Die Werbeversprechen der Supplement-Industrie sollte man kritisch hinterfragen. Leucin ist kein Wundermittel für Muskelaufbau oder Fettverbrennung. Es ist ein Werkzeug, das unter bestimmten Bedingungen die Proteinverwertung optimieren kann – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Quellenverzeichnis
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