Titandioxid

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Titandioxid

Titandioxid begegnete uns zumindest bis vor kurzem noch annähernd jeden Tag, denn es wird in einer ganzen Reihe an Produkten verwendet. Zumindest in Lebensmitteln ist der Zusatzstoff bei uns inzwischen nicht mehr zugelassen, wohl aber in anderen Produkten des täglichen Bedarfs. Warum das kritisch ist, wie die aktuellen Regelungen sind und was jeder Einzelne von uns beachten kann, erfahren Sie hier.

Titandioxid

Was ist eigentlich Titandioxid?

Titandioxid ist eine anorganische Verbindung, die natürlicherweise entsteht, wenn Titan mit Luftsauerstoff regiert. In der Natur findet sich diese Verbindung in einigen Mineralen, wobei sie zwar grundsätzlich nicht selten ist, die jeweilige Konzentration allerdings eher niedrig ist. Isoliert ist Titandioxid als weiße, kristalline Substanz erkennbar. Tatsächlich ist es das weißeste Farbpigment der Welt und wird in einer Vielzahl von industriell hergestellten Produkten verwendet, die uns jeden Tag begegnen. Optisch besticht es in erster Linie durch seine immense Leucht- und Deckkraft. Zusätzlich ist es vollkommen geruchs- und geschmacksneutral. Da Titandioxid außerdem nicht löslich ist, kann es quasi überall als Farbpigment hinzugefügt werden, ohne dass es einen nennenswerten negativen Einfluss auf die ursprünglichen Eigenschaften eines Produktes hat.

Titandioxid kann kostengünstig in großen Mengen produziert werden. Allein in Europa liegt die Produktion bei jährlich über einer Millionen Tonnen. Dabei ist die Körnung des Titandioxids unterschiedlich, sodass zwischen Nanopartikeln mit einer Größe von 1 bis 100 Nanometer und größeren Pigmentpartikeln über 100 nm differenziert werden kann. Insbesondere die Nanopartikel bieten interessante Möglichkeiten für den Einsatz in der Industrie, gerieten zuletzt aber auch in den Fokus kritischer Bewertungen, denn durch ihre geringe Größe können sie ein gesundheitliches Risiko darstellen, das noch nicht vollständig verstanden ist.

Wofür wird Titandioxid verwendet?

Titandioxid kann kostengünstig hergestellt werden und wird in einer Vielzahl unterschiedlicher Produkte des täglichen Lebens verwendet. An dieser Stelle sollen die wichtigsten Produktgruppen vorgestellt und die aktuelle Rechtslage zum Einsatz von Titandioxid in der jeweiligen Gruppe erläutert werden.

In Lebensmitteln

In Lebensmitteln hat Titandioxid einen markanten Effekt auf die Optik eines Produktes, sodass es frischer und knackiger aussieht. Durch die reflektierenden Eigenschaften des Zusatzstoffes, der unter der Bezeichnung E 171 in der Liste der Zutaten aufgeführt wird, bekommt das Produkt einen ansprechenden Glanz, ohne dass es Auswirkungen auf den Geschmack oder die Haltbarkeit gibt. So erhalten nicht nur Kaugummis, Schokolinsen oder Bonbons eine glänzende Oberfläche, sondern auch Mozzarellakugeln, Marshmallows, Nüsse oder Zuckerdekor für Kuchen. Selbst komplexen industriell gefertigten Lebensmitteln wie Suppen, Soßen, Brotaufstriche oder Mayonnaise wird nicht selten Titandioxid hinzugefügt, um sie für uns Verbraucher bei der Zubereitung optisch attraktiver zu gestalten.

An dieser Stelle sei bereits erwähnt, dass der Einsatz von E 171 in Lebensmitteln innerhalb der EU seit August 2022 nicht mehr gestattet ist. Diese Entscheidung beruht auf einer aktualisierten Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von März 2021, die auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse veröffentlicht wurde. In dieser aktualisierten Sicherheitsbewertung können gesundheitliche Risiken nicht mehr ausgeschlossen werden, sodass die Verwendung von Titandioxid als Zusatzstoff in Lebensmitteln insgesamt als „nicht mehr sicher“ eingestuft wurde. Auf die genauen gesundheitlichen Risiken wird weiter unten im Detail eingegangen. [1]

Trotz des inzwischen in Kraft getretenen Verbotes der Verwendung des Zusatzstoffes E 171 dürfen bestehende Produkte, die teilweise ein Mindesthaltbarkeitsdatum aufweisen, das noch weit in der Zukunft liegt, weiterhin ohne Einschränkung oder Warnhinweis verkauft werden.

In Medikamenten

Bei der Herstellung von Tabletten, Weichkapseln, Hartkapseln, Granulat oder Lösungen für Suspensionen kommt regelmäßig Titandioxid zum Einsatz. Aber auch orale Pasten, Salben oder Inhalationslösungen können Titandioxid enthalten. Tatsächlich ist es der am häufigsten verwendete Farbstoff in pharmazeutischen Produkten. Vor allen Dingen kommt es zum Einsatz, wenn es darum geht, Tabletten und Kapseln mit einer glatten und glänzend weißen Schicht zu überziehen. Das ist nicht nur optisch von Bedeutung, denn Tabletten mit glatter Oberfläche können leichter eingenommen werden, sind fester und quillen nicht vorzeitig auf. Zusätzlich schützt das Farbpigment empfindliche Inhaltsstoffe in dem jeweiligen Medikament vor UV-Strahlung und lässt in Lösungen eine Trübung entstehen, wenn dies erwünscht ist.

Auch bei Medikamenten gibt es Bestrebungen, die Verwendung von Titandioxid strenger zu reglementieren, allerdings empfahl die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) im September 2021 derartige Ambitionen zunächst zu vertagen, um bereits bestehende Engpässe bei einigen Medikamenten nicht weiter zu verschärfen. Eine erneute Bewertung durch die EMA soll bis April 2024 erfolgen. Auf dieser Grundlage soll dann die EU-Kommission bis zum Januar 2025 entscheiden, ob Titandioxid weiterhin in Medikamenten verwendet werden darf. Die Pharmaindustrie wurde bereits aufgefordert, nach adäquaten Alternativen für Titandioxid zu forschen, um es im Falle eines Verbotes schnellstmöglich ersetzen zu können. Ferner möge die aktuelle Verwendung überdacht und nach Möglichkeit reduziert werden.

Vielfach diskutierte Alternativen wären zum Beispiel Kalziumkarbonat, Talkum oder Stärke, doch weisen diese Substanzen einige Nachteile auf, die bisher nicht überwunden werden konnten. So lassen sich unter anderem keine ausreichend dünnen Schichten bilden oder es besteht ein hohes Risiko für Verunreinigungen. Zusätzlich muss jedes einzelne Medikament bewertet und auf seine Eigenschaften (z. B. Haltbarkeit, Stabilität) geprüft werden. Für den weltweiten pharmazeutischen Markt könnte ein Verbot von Titandioxid in der Herstellung von Medikamenten innerhalb der EU zu einem wirtschaftlichen Problem werden, das zu immensen Wettbewerbsverzögerungen führt. Denn bisher gibt es nirgends ein derartiges Verbot. Die EMA geht tatsächlich von „erheblichen Auswirkungen“ auf gesundheitlicher und wirtschaftlicher Ebene aus, für den Fall, dass Titandioxid in Medikamenten schnell verboten werden würde. [2]

In Kosmetika und Pflegeprodukten

Titandioxid ist ein häufiger Bestandteil in Kosmetik und Pflegeprodukten, wenn weiße Farbpigmente oder UV-Schutz benötigt werden. Die Verbindung findet sich vor allen Dingen in Zahnpasta, Sonnencreme, Gesichtspuder, Make-up oder Lippenstift. Als natürliche mineralische Substanz ist Titandioxid auch in Naturkosmetikprodukten zugelassen. In der Internationalen Nomenklatur für kosmetische Inhaltsstoffe (INCI) verbirgt sich die anorganische Verbindung unter dem Kürzel CI77891.

Titandioxid reagiert nicht mit seiner Umgebung und ist dadurch auch bei sensibler Haut überaus hautfreundlich. In Schminke besticht es durch seine hohe Deckkraft und seinen Glanz, der besonders bei Lippenstiften gewünscht wird und intensive Färbungen ermöglicht. Dabei lässt sich der weiße Farbstoff sehr gut mit anderen Farben kombinieren. In Zahnpasta verbessert Titandioxid weniger das Putzergebnis, sondern soll vielmehr dafür sorgen, dass die Zähne aufgehellt werden. Neben diesen eher ästhetischen Verwendungen bietet Titandioxid in Sonnencremes auch einen funktionalen Vorteil. Die kleinen Partikel streuen sowohl UVA- als auch UVB-Strahlen und sorgen so dafür, dass die Haut effektiv vor dieser Strahlung geschützt wird. Diese Eigenschaft kommt auch in Kosmetik zum Tragen, die mit einem zusätzlichen UV-Schutz werben (z. B. Lippenbalsam).

Nachdem der Einsatz von Titandioxid in Lebensmitteln verboten wurde, stellt sich die Frage, inwieweit das Auswirkungen auf die Verwendung in Kosmetika und Pflegeprodukten hat. Dies gilt insbesondere für Produkte, die mitunter verschluckt werden können wie Zahnpasta oder Lippenstift, auch wenn die aufgenommenen Mengen auf diesem Wege eher als sehr gering einzuschätzen sind. Aus diesem Grunde hat die EU-Kommission das Scientific Committee on Consumer Safety (SCCS), das unter anderem für die Sicherheit von Kosmetik zuständig ist, damit beauftragt, die wissenschaftlichen Daten zu Titandioxid für verschluckbare Kosmetika erneut zu prüfen. Die Ergebnisse sollen der Kommission bis zum März 2023 vorgelegt werden, sodass im Anschluss erneut auf dieser Grundlage eine Entscheidung getroffen werden kann, ob Titandioxid in Kosmetika und Pflegeprodukten weiterhin verwendet werden darf oder ob Einschränkungen ausgesprochen werden müssen.

Einige Hersteller haben bereits auf die gesteigerte Kritik an dem Inhaltsstoff reagiert und Titandioxid aus ihren Produkten entfernt bzw. ihn durch andere Stoffe ersetzt. Auch eine Umfrage von Öko-Test bei führenden Herstellern für Naturkosmetik zeigte, dass die Unternehmen an Alternativen arbeiten. Zusätzlicher Druck für eine beschleunigte Entwicklung in diese Richtung entstand allerdings auch durch den Beschluss des Naturkosmetik-Siegels Cosmos, der ab dem Frühjahr 2023 kein Sigel mehr an Produkte vergibt, die Titandioxid enthalten. Ob andere Siegel folgen, ist zum aktuellen Zeitpunkt noch unklar. Wahrscheinlich ist, dass zunächst die Bewertung des SCCS abgewartet wird. [3]

Im Januar 2023 bemängelte Öko-Test allerdings, dass noch immer einige Zahnpastasorten für Babys und Kleinkinder Titandioxid enthalten, obwohl davon ausgegangen werden kann, dass gerade kleine Kinder vermehrt Zahnpasta herunterschlucken. Im Test enthielten insgesamt sieben von 24 untersuchten Zahnpasta für Kinder den umstrittenen Inhaltsstoff, der faktisch allerdings (noch) nicht verboten ist. [4]

In Farben und Materialien

Titandioxid ist der wichtigste weiße Farbstoff in Baumaterialien und kommt dort in Farben, bei Fensterrahmen, Fliesen oder Asphalt zum Einsatz. Neben der hohen Deck- und Leuchtkraft oder der glänzenden Oberfläche ist Titandioxid in der Baubranche in erster Linie aufgrund seiner photokatalytischen Eigenschaften sehr begehrt. Hinter der Bezeichnung Photokatalyse verbirgt sich die Umwandlung von chemischen Substanzen unter dem Einfluss von Licht. Praktisch bedeutet das, dass eine mit Titandioxid beschichtete Oberfläche (z. B. Gebäudefassade oder Dachziegel) das einfallende Licht umleitet und dadurch organische Verbindungen auf dieser Oberfläche abbaut. Die Oberfläche ist dadurch selbstreinigend. Ebenso können Asphaltdecken von Straßen mit Titandioxid beschichtet werden, um die Schadstoffbelastung zu reduzieren. Hier werden im Straßenverkehr entstehende Schadstoffe direkt durch die umgeleiteten UV-Strahlen abgebaut, sodass die Luftverschmutzung reduziert wird. Da dieser Prozess vollkommen ungerichtet abläuft, werden im Bereich der Materialforschung weitere Erkenntnisse gesammelt, um etwaige Risiken zu erkennen und den Einsatz weiter zu optimieren.

Was macht Titandioxid im Körper?

Für die Wirkung, die Titandioxid im menschlichen Körper entfalten kann, sind neben der aufgenommenen Menge grundsätzlich die Größe des Partikels und der Weg der Aufnahme von Bedeutung. Wie bereits oben erläutert, kann zwischen Nano-Partikeln und Pigmenten unterschieden werden. Erstere haben etwa die Größe eines Virus und können zumindest theoretisch in Körperzellen gelangen, die um ein vielfaches größer sind. Deswegen stehen besonders sie im Fokus der Forschung und werden gezielt in Toxizitätsstudien verwendet. Grundsätzlich kommt Titandioxid aber immer in unterschiedlichen gemischten Größen vor, wobei von einem Nanomaterial gesprochen wird, wenn mehr als die Hälfte der enthaltenen Partikel einen Durchmesser von 1-100 nm aufweist. Nanomaterial kommt vor allen Dingen dann zum Einsatz, wenn der Schutz vor UV-Strahlung eine hohe Priorität hat. Als reiner Farbstoff können größere Partikel verwendet werden, wobei auch hier immer ein gewisser Anteil in Nanoform vorliegt.

Größere und kleinere Partikel von Titandioxid können auf drei unterschiedlichen Wegen in den Körper gelangen. Sie werden entweder über die Haut (dermal), über die Atemwege (inhalativ) oder über den Verdauungstrakt (oral) aufgenommen. So kann Titandioxid aus Lebensmitteln, Tabletten oder Zahnpasta auf oralem Wege in den Körper gelangen, Titandioxid aus Sonnencremes oder Schminke auf dermalem Wege und Titandioxid aus Baumaterialien oder Gesichtspuder auf inhalativen Wegen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) betonte zuletzt im Mai 2021, dass eine Aufnahme aus Pflegeprodukten über gesunde Haut eher unwahrscheinlich ist, weswegen eine Nutzung von entsprechenden Produkten (insbesondere Sonnencremes) vom BfR als unbedenklich eingestuft wurde. Tatsächlich wird Titandioxid in zwei Positivlisten der EU-Kosmetikverordnung aufgeführt und darf somit sowohl als Farbstoff als auch zum Schutz vor ultravioletter Strahlung auf der Haut verwendet werden. Allerdings ist der Einsatz von Nanopartikeln in Sonnenschutzmitteln nicht zugelassen, wenn es durch die Verwendung zu einer möglichen Inhalation kommen kann, denn insbesondere die Inhalation von Titandioxid wird vom BfR als besonders kritisch angesehen. [5]

Wenn Titandioxid eingeatmet wird

Bereits im Jahr 2015 zeigten Versuche an Mäusen, dass Titandioxid, das über die Atemwege in die Lunge gelangt, dort in dosisabhängiger Weise Entzündungsreaktionen auslöst. Diese wiederum führt zu einem lokalen Absterben von Zellen [6]. Weitere Versuche zeigten, das der inhalierte Feinstaub aus Titandioxid in Tiermodellen Lungenkrebs verursachen kann, was letztlich vermutlich auf viele kleine Entzündungsherde zurückzuführen ist. Wenn sich das Gewebe regeneriert, teilen sich die Zellen überdurchschnittlich oft, sodass die Wahrscheinlichkeit der Tumorbildung erhöht wird. Tatsächlich sind sich Experten aber uneinig darüber, ob es sich bei den beobachteten Effekten um eine spezifische Wirkung des Titandioxids handelt oder vielmehr um eine unspezifische Reaktion auf die Reizung der Lunge durch irgendwelche Nanopartikel. Letztlich besteht diesbezüglich keine genaue Klarheit.

Dennoch hat die EU Titandioxid in Pulverform im Jahr 2020 als potentiell krebserregend eingestuft, wenn es Nanopartikel enthält und eingeatmet wird. Als Konsequenz mussten entsprechende Produkte (meist Baumaterialien) mit entsprechenden Warnhinweisen versehen werden. Gegen diese Einstufung legten Hersteller, Importeure, nachgeschaltete Anwender und Lieferanten von Titandioxid vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage ein und bekamen am 23.11.2022 recht. Die Richter in Luxemburg gelangten nach ausführlicher Beratung zu dem Ergebnis, dass die EU-Kommission einen Beurteilungsfehler begangen hat und die Bewertung zurückziehen muss. [7]

Nichtsdestotrotz bleibt die Bewertungslage für Titandioxid, das über die Atemluft in die Lunge gelangt, weiter nicht ganz eindeutig. So besteht durchaus eine Gefahr der Karzinogenität in Verbindung mit bestimmten lungengängigen Titandioxidpartikeln, wenn sie z. B. in einer bestimmten Größe und ausreichender Menge vorhanden sind. Hier sind weitere Studien erforderlich, um die Sachlage genauer einschätzen zu können.

Wenn Titandioxid oral aufgenommen wird

Wie bereits oben erläutert, veröffentlichte die EFSA im Jahr 2021 eine ausführliche neue Bewertung der gesundheitlichen Risiken von Titandioxid bei oraler Aufnahme über Lebensmittel, die den Zusatzstoff E 171 enthalten. Grund für die neue Bewertung war die Feststellung, dass sich der Anteil an Nanopartikeln in dem Zusatzstoff deutlich höher darstellte, als bis dahin angenommen wurde. Im Zuge dieser Bewertung wurden zahlreiche Studien zusammengefasst, die sich mit der Auswirkung von Titandioxid in Tier und Mensch befassen.

Bereits bei der vorherigen Bewertung aus dem Jahr 2016 stellte die EFSA fest, dass nur ein sehr geringer Anteil von maximal 0,1 Prozent des aufgenommenen Titandioxids aus der Nahrung über den Darm absorbiert wird. Untersuchungen an Mäusen zeigten, dass mit der Nahrung aufgenommenes Titandioxid über das Lymphsystem in zahlreiche Organe transportiert wird, in denen es unterschiedlich lange nachgewiesen werden kann (z. B. Leber, Milz, Niere, Lunge oder Herz). Zwar reduziert sich die Menge wieder, doch liegt die Halbwertzeit je nach Organ bei bis zu zwei Jahren. Dadurch ist es möglich, dass sich über die Zeit Titandioxid in den Organen ansammelt und schließlich doch eine kritische Menge erreicht, die eine Gefahr für die Gesundheit darstellen könnte. [1]

Titandioxid reichert sich im Körper an

Eine Untersuchungen an einer geringen Zahl menschlicher Probanden zeigte, dass etwa 2 Stunden nach der Einnahme von 50 mg Titandioxid das Pigment im Blut nachgewiesen werden konnte. Sechs Stunden nach der Einnahme war der Peak erreicht und der Blutspiegel sank wieder herab. In einer Studie aus dem Jahr 2020 bestimmten Forscher aus den Niederlanden schließlich den postmortem Gehalt an Titandioxid in den unterschiedlichen Organen von Körperspendern, die im Alter zwischen 64 und 97 Jahren verstorben sind. Dabei zeigte sich, dass sich Mengen von bis zu 1,8 mg Titandioxid pro kg Gewebe nachweisen lassen konnten. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass das Titandioxid zumindest anteilig aus verzehrten Lebensmitteln, Zahnpasta und/oder Arzneimitteln stammt [9].

In einer weiteren Untersuchung an Menschen konnte Titandioxid sowohl in der Plazenta als auch im Mekonium (erster Stuhl nach der Geburt) nachgewiesen werden, woraufhin der Schluss nahe liegt, dass Titandioxid nach oraler Aufnahme nicht nur systemisch im Körper der Mutter vorliegt, sondern über die Plazenta auch in den Kreislauf eines ungeborenen Babys gelangt. Ebenso schätzen die Forscher eine Weitergabe über die Muttermilch als wahrscheinlich ein.

Nachdem also nachgewiesen werden konnte, dass Titandioxid nach dem Verzehr systemisch vorliegt, musste die Frage geklärt werden, ob dadurch ein gesundheitliches Problem entstehen kann. Tatsächlich konnte in Tierversuchen festgestellt werden, dass große Mengen an Titandioxid in der Nahrung zu Entzündungen im Darm führen, die sich chronifizieren können und so auch die Gefahr der Entstehung von Tumoren erhöht wird. Allerdings wurde mit deutlich höheren Dosierungen experimentiert, als sie ein Mensch im Normalfall aufnehmen würde. Dennoch bleiben Bedenken bezüglich der Sicherheit. Unterschiedliche Studien legen außerdem nahe, dass Titandioxid das Potenzial hat, das Erbgut im Zellkern zu schädigen (Genotoxizität), wenn auch diese Beobachtungen nicht eindeutig sind.

Insgesamt kam das Gremium zu dem Schluss, dass die Möglichkeit besteht, dass Titandioxid das Immunsystem beeinflusst und Entzündungen auslösen kann. Ferner konnte eine negative Auswirkung auf das Erbgut nicht eindeutig ausgeschlossen werden. Zwar ist die aktuelle Datenlage nicht vollkommen klar, dennoch ließ sich aus Sicht der EFSA auf dieser Grundlage nicht länger eine Unbedenklichkeit für die Verwendung von Titandioxid als Zusatzstoff in Lebensmitteln aussprechen. Das Gremium empfahl schließlich, Titandioxid aus Lebensmitteln zu verbannen und die EU-Kommission folgte dieser Empfehlung mit Gültigkeit ab August 2022. [1]

Worauf sollten Verbraucher achten?

Lebensmittel, die vor dem Stichtag am 7. August 2022 hergestellt wurden, können noch Titandioxid enthalten. Solange sie haltbar sind, dürfen sie auch innerhalb der EU weiterhin verkauft werden. Das gilt zum Beispiel für Instantsoßen, Backdeko oder Kaugummis. Auch ist es möglich, dass entsprechende Produkte noch zu Hause im Schrank liegen. Dass ein Produkt Titandioxid enthält, ist an der Bezeichnung E 171 in der Liste der Zutaten zu erkennen. Grundsätzlich gilt jedoch, dass diese Lebensmittel nicht weggeworfen werden müssen. Die enthaltene Menge an Titandioxid ist mit großer Wahrscheinlichkeit unbedenklich. Problematisch laut EFSA war vielmehr die Akkumulation über viele Jahre, die durch das aktuelle Verbot von nun an unterbrochen ist. Und selbst hier war das Gefahrenpotential nicht eindeutig, sodass das Verbot vielmehr als Vorsichtsmaßnahme aufgrund von Unsicherheiten in der Datenlage verstanden werden sollte.

Wie bereits erläutert, gilt das Verbot ausschließlich für Lebensmittel, nicht aber für Medikamente, die oral eingenommen werden. Eine Alternative ist an dieser Stelle schwierig, könnte aber in der Apotheke erfragt werden, wenn Sie sich unsicher sind. Dennoch bleibt auch hier anzumerken, dass die verwendeten Mengen in Tabletten und Co. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht gesundheitsschädlich sind, sondern dass der positive Effekt durch das einzunehmende Medikament deutlich überwiegt. Der Einsatz von Titandioxid in pharmazeutischen Produkten wird in naher Zukunft auf EU-Ebene neu bewertet. Möglicherweise gibt es Änderungen in diesem Sektor, diese sind jedoch vor 2025 nicht zu erwarten.

Unter den Pflegeprodukten steht insbesondere titandioxid-haltige Zahnpasta im kritischen Fokus, da sie besonders von Kindern verschluckt werden kann. Achten Sie hier und auch bei anderen Pflegeprodukten und Kosmetika auf die INCI Bezeichnung  CI77891 in der Liste der Inhaltsstoffe und wählen Sie bei Unsicherheit ein Produkt, das kein Titandioxid enthält. Alternativen gibt es in der Regel zu Genüge. Noch im Frühjahr 2023 wird eine neue Einschätzung des SCCS zu Titandioxid in verschluckbaren Pflegeprodukten erwartet. Möglicherweise stehen auch hier in naher Zukunft Änderungen an. Ein Siegel, das ein Produkt als Naturkosmetik auszeichnet, kann zwar, muss aber nicht bedeuten, dass kein Titandioxid enthalten ist. Das kommt tatsächlich auf das jeweilige Siegel und dessen Kriterien an. Wenn Sie sicher sein wollen, achten Sie auch hier auf die Liste der Inhaltsstoffe. Auch für die Produktkategorie der Hautpflegeprodujte und Kosmetika bleibt anzumerken, dass das gesundheitliche Risiko durch Titandioxid als eher gering eingeschätzt wird, da es über gesunde Haut nicht aufgenommen werden kann. Selbst wenn geringe Mengen durch Risse oder Verletzungen in den Körper gelangen sollten, ließen sich auf diesem Wege kaum kritische Mengen ansammeln.

Fazit

Titandioxid wird bereits seit Jahrzehnten in zahlreichen Produkten des täglichen Lebens genutzt und galt lange Zeit als unbedenklich. Nach jüngeren Einschätzungen kann diese Bewertung jedoch nicht uneingeschränkt aufrechterhalten bleiben, weswegen der Zusatz von Titandioxid in Lebensmitteln seit dem August 2022 innerhalb der EU verboten ist. Im Zuge dessen wird auch der Einsatz in Kosmetika, Pflegeprodukten und Medikamenten kritisch diskutiert und soll in Zukunft erneut geprüft werden. Tatsächlich ist das gesundheitliche Risiko von Titandioxid eher unklar als gefährlich hoch, dennoch ist Vorsicht oftmals besser als Nachsicht. Mit einem Blick in die Liste der Inhaltsstoffe lassen sich entsprechende Produkte (z. B. Kinderzahnpasta) vermeiden.

Quellen

[1] EFSA Panel on Food Additives and Flavourings (FAF), Safety assessment of titanium dioxide (E171) as a food additive, EFSA Journal March 2021.

https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2021.6585

[2] European Medicines Agency (2021) Final feedback from European Medicine Agency (EMA) to the EU Commission request to evaluate the impact of the removal of titanium dioxide from the list of authorised food additives on medicinal products, 8 September 2021, EMA/504010/2021.

https://www.ema.europa.eu/en/documents/report/final-feedback-european-medicine-agency-ema-eu-commission-request-evaluate-impact-removal-titanium_en.pdf

[3] Heike Baier (2022) Titandioxid in Lebensmitteln verboten: Welche Folgen hat das für Kosmetik? Öko-Test-Magazin September 2022.

https://www.oekotest.de/kosmetik-wellness/Titandioxid-in-Lebensmitteln-verboten-Welche-Folgen-hat-das-fuer-Kosmetik_13092_1.html

[4] Hanh Friedrich, Meike Rix, Lena Wenzel (2023) Unverantwortlich: Immer noch Titandioxid in Kinderzahnpasta, Öko-Test-Magazin Februar 2023.

https://www.oekotest.de/freizeit-technik/Unverantwortlich-Immer-noch-Titandioxid-in-Kinderzahnpasta_13489_1.html

[5] BfR (2021) Titandioxid – gibt es gesundheitliche Risiken? Aktualisierte Fragen und Antworten des BfR vom 12. Mai 2021.

https://www.bfr.bund.de/cm/343/faq-titandioxid-gibt-es-gesundheitliche-risiken.pdf

[6] Yu et al. (2015) Inhalation of titanium dioxide induces endoplasmic reticulum stress-mediated autophagy and inflammation in mice, Food Chem Toxicol. 2015 Nov;85:106-13.

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26253354/

[7] Der Gerichtshof der Europäischen Union: Pressemitteilung Nr. 190/22 vom 23.11.22

https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2022-11/cp220190de.pdf

[8] Peters et al. (2020) Silicon dioxide and titanium dioxide particles found in human tissues, Nanotoxicology. 2020 Apr;14(3):420-432.

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31994971/

Annika Mix ist promovierte Biologin und arbeitete viele Jahre in der medizinischen Grundlagenforschung. Mit einer journalistischen Weiterbildung erfüllte sie sich den Wunsch, als freiberufliche Texterin und Wissenschaftsjournalistin Themen aus dem Bereich von Gesundheit und Forschung alltagsnah zu vermitteln.